Irrfahrt
abgestimmt, als hätte man dieses romantische Fleckchen eigens für die Besucher aus der Fremde geschaffen. Hotel reihte sich an Hotel, Restaurant an Restaurant, Geschäft an Geschäft. Hier mußte es doch etwas Hübsches zu kaufen geben, was man nach Hause schicken konnte.
Die Auskunft, die Gerber von Althoff erhielt, klang nicht ermutigend. «Bunte Postkarten, billiger Tand, aber sonst? Höchstens ein Stück Räucherfisch kaufen wir mal, oder eine Pulle Rotwein, und der ist auch schon wieder teurer geworden.»
Althoff begann eine lange Erzählung von den «goldenen» Zeiten. «Ja, 1940 waren die Schaufenster noch voll. Aber das ist längst vorbei. Alles weggekauft, mit Reichskreditkassenscheinen.»
Diese Scheine hatten ihre eigene Geschichte. Die Regierung in Berlin wollte aus verschiedenen Gründen kein deutsches Geld in den besetzten Ländern zirkulieren lassen. Wie in anderen okkupierten Staaten galt auch in Frankreich außer der Landeswährung lediglich eine bestimmte Serie der Kreditkassenscheine. Der Zweck der Aktion war klar. In Frankreich gab es vieles, was Großdeutschland für die Fortführung seines Krieges dringend brauchte: Rohstoffe für die Industrie, hochwertige Maschinen, Fahrzeuge. Alles das ließ man durch Händler zu Schwarzmarktpreisen aufkaufen und finanzierte diese dunklen Geschäfte mit Kreditkassenscheinen, die von den Banken in landeseigene Währung umgetauscht wurden.
Sehr schnell witterten Offiziere und Soldaten, welche Möglichkeit sich ihnen bot. Pelzmäntel und Teppiche, Kunstgegenstände und Antiquitäten, Fässer voller Wein und Kisten voller Spirituosen wanderten auf diese Weise nach Deutschland. In kurzer Zeit war Frankreich leergekauft, elend und ausgeplündert.
Wer Geld hatte, bekam auch 1942 noch «alles». Die Preise waren um ein Vielfaches hochgeschnellt. Im Lande blühte ein riesiger schwarzer Markt, der vom Oberkommando der Besatzungsarmee und von der profaschistischen französischen Regierung in Vichy offiziell geduldet wurde. Heer und Luftwaffe, Marine und Waffen-SS, Organisation Todt und zivile Dienststellen des Reiches beteiligten sich an dem großen Ausverkauf. Im besetzten Frankreich waren Tausende von einträglichen Geschäften möglich, wenn man die richtigen Leute kannte und genügend Bewegungsfreiheit besaß. Die Schieber in Uniform und Zivil häuften Reichtümer. Sie lebten herrlich und in Freuden - wie Gott in Frankreich. Wenn man Geld hatte ...
Die Masse der Franzosen war arm und hungerte. Arbeiter und Angestellte, Beamte und Rentner bekamen immer noch dieselben Löhne, Gehälter und Renten wie im Jahre 1939. Ihre Ersparnisse schmolzen dahin. Die hohen Schwarzmarktpreise waren nur für Leute erschwinglich, die mit den Okkupanten zusammenarbeiteten.
«Navigateur» stand über dem Eingang des Lokals, auf das Althoff und Schabe zusteuerten. Gerber glaubte in einer echten Seemannskneipe zu sein. Segelschiffe und präparierte Fische aus den Tropen hingen von der Decke herab. Hinter der Theke hantierte eine ältere, ziemlich aufgetakelte Frau. Mädchen saßen gelangweilt an kleinen Tischen und rauchten. Ihre Kleider waren gewagt, hielten sich aber noch in Grenzen.
Schabe winkte drei der Mädchen herbei. Er bestellte Rotwein. Die Unterhaltung wurde in einem Kauderwelsch aus deutschen und französischen Brocken geführt, das alle - außer Gerber - fließend sprachen.
Gerber erinnerte sich an das «Trocadero» in Stralsund. Doch die Sitten im «Navigateur» waren freier. Schabe rückte an eine üppige, unechte Blondine heran, Althof nahm eine kleine Rothaarige auf den Schoß. Ihre flinken Hände verschwanden irgendwo unter der Kleidung. Nach wenigen Minuten schon verabschiedete sich das erste Paar, kurz darauf das zweite. Die Männer verhandelten mit der Frau an der Theke. Sie reichten ihr einen Geldschein und bekamen etwas in die Hand gedrückt, was Gerber auf die Entfernung nicht erkennen konnte. Dann stiegen sie mit ihren Freundinnen die Treppe hoch in die oberen Räume.
Allmählich hatte Gerber begriffen, in welche Art von Lokal er da geraten war. Ein schwarzhaariges Mädchen flüsterte ihm Worte ins Ohr, die er nicht verstand, aber für Französisch hielt.
Als Schabe und Althoff wieder an Bord zurückkehrten, saß Gerber im Forecastle und blätterte in seinem Langenscheidt. Er suchte ein Wort, das in der Unterhaltung mehrmals gefallen war und L'equeleque oder so ähnlich lautete. Aber er konnte das Wort nicht finden.
Althoff erklärte ihm, daß er mit
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