Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
Vom Netzwerk:
einem Punkt allerdings zogen sie mit Schabe gleich: Auch sie verstanden es, alle unbeliebten Arbeiten auf die niedrigsten Dienstgrade abzuschieben.
    Dazu zählte der Maschinengefreite Hansen.
    Gerber merkte sehr bald, daß Hansen bei seinen Vorgesetzten keine gute Nummer hatte. Er galt als «politisch unzuverlässig». In seinem Führungsbuch stand ausdrücklich vermerkt, daß sein Vater 1934 in ein Konzentrationslager gekommen war. Hansen selbst wurde kurz nach Kriegsbeginn eingezogen, obwohl ihn seine Werft als «unabkömmlich» bezeichnet hatte. Mit einer Gelassenheit, die Gerber heimlich bewunderte, ertrug er die Schikanen. Woher nahm dieser Mann die Kraft dazu? An seiner Stelle wäre er längst verzweifelt. Hansen diente nun schon fast drei Jahre bei der Marine und war immer noch Gefreiter. Manchmal, wenn sie bei der Wachablösung zusammentrafen, beklagte sich Gerber über die Zustände an Bord. «Mach dir nichts draus», sagte Hansen ruhig. «Das geht vorbei. Vielleicht eher, als einige Leute denken.»
    Die Matrosen sprachen nicht viel über Hansen. Er war eben das schwarze Schaf.
    Hansen war mit dem Maschinenmaat befreundet. Die beiden hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Ritter deutete an, daß sie Freunde auf anderen Booten hätten, sogar unter den Franzosen, mit denen sie sich irgendwo in der Stadt trafen. Aber er wußte darüber nichts Genaues. Es konnte auch ein Gerücht sein.
     
    Die jungen Gasten wurden zum Kartoffelschälen kommandiert. Diese Arbeit war bei allen verhaßt. Gerber hielt sie für unmännlich, und Vogel schnitt sich regelmäßig in den Finger. Den ganzen Vormittag hockten sie in der engen Kombüse, um das Hauptnahrungsmittel für vierzig Mann vorzubereiten. Dabei kamen sie mit dem Smutje ins Gespräch.
    Gerd Knoop stammte aus Vorpommern und war Gutsarbeiter gewesen. Er war zweiunddreißig Jahre, sah aber mit seinem zerfurchten Gesicht viel älter aus.
    Seine Frau schrieb mitunter Briefe. Ungelenk hatte sie den Bogen mit einem Bleistiftstummel vollgekritzelt. Sie arbeitete als Melkerin auf einem Gut und schlug sich mit den vier Kindern kümmerlich durch. Ihre Briefe waren ein ständiges Klagelied. «Was hat sie denn geschrieben?» fragte Vogel neugierig. Knoop drückte die Antwort kurz und verständlich aus: «Alles Kacke. Deine Elli.»
    Die Kriegsmarine hatte Gerd Knoop vier Wochen zu einem Kochkurs geschickt. Bei dem hohen Verpflegungssatz der Boote war es keine Kunst, ein genießbares Essen zu kochen. Knoop achtete streng darauf, daß jeder - vom Kommandanten bis zum jüngsten Matrosen - eine gleich große Portion erhielt. Er war ein Apostel der Gerechtigkeit ..
    Französische Arbeiter kamen an Bord. Einige Stellen des Oberdecks mußten kalfatert werden. Da Spezialgeräte fehlten, hatte die Flottille eine private Bootswerft damit beauftragt.
    Gerber erhielt den Befehl, die Franzosen mit der MPi scharf zu bewachen. «Das ist Vorschrift», sagte Kehlhus, «die machen sonst Sabotage!» Gerber fluchte innerlich. Während die anderen mittags in ihren Kojen schnarchten, konnte er wieder einmal Wache schieben.
    Die Franzosen, drei ältere Männer, sahen unterernährt aus. Aber sie waren zu stolz, bei den Besatzern um einen Teller Suppe zu bitten.
    Gerd Knoop fragte nicht nach Stolz. Er fragte auch nicht viel nach der einschlägigen Dienstvorschrift, die bei Strafe verbot, «unzuverlässigen Ausländern zusätzlich Lebensmittel zu verschaffen». Er holte die drei Männer in seine Kombüse und gab jedem einen kräftigen Schlag Essen. Dankbar nahmen die Franzosen ihre Schüsseln in Empfang, und Gerber sah sich plötzlich in die Lage versetzt, draußen Schmiere zu stehen. Knoop verholte sich, nachdem er den Männern noch eine große Tüte mit angetrockneten Brotscheiben zugesteckt hatte.
    Nun war Gerber mit den Franzosen allein. Eine glänzende Gelegenheit, seine Sprachkenntnisse anzubringen. Mal sehen!
    Während die Arbeiter ihre Geräte auspackten, kramte Gerber in seinem Gehirnkasten nach Vokabeln. «Messieurs, etes vous Maloins?» Verwundert blickten die Männer auf. «Naturellement!» Also aus Saint-Malo stammten sie.
    Die Franzosen machten sich daran, mit Hilfe eines langen Hebelarms Teer und Werg zwischen den Planken hervorzuholen, um später das Deck mit einer neuen Packung abdichten zu können. Gerber rekapitulierte indessen einige Regeln der Grammatik, damit das mühsam angeknüpfte Gespräch nicht versickerte.
    Schließlich brachte er heraus, wie alt die Männer waren. Er hätte sie

Weitere Kostenlose Bücher