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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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seiner Suche auf dem falschen Dampfer sei. Er bezeichnete Gerbers mangelhafte Sprachkenntnis als «arge Bildungslücke». In einem längeren Vortrag wies er nach, wie unbrauchbar die sogenannte höhere Schulbildung für das praktische Leben war. Im stillen mußte Gerber zugeben, daß Althoff mit dieser Ansicht nicht ganz Unrecht hatte.
    Gerbers Geschichte sprach sich wie ein Lauffeuer herum. Eine Zeitlang war nun er - anstelle von Vogel - die Zielscheibe des Spottes.
    Immerhin fiel auf, daß die Besatzung nach dem gruppenweisen Landgang friedlich und verträglich gestimmt war. Sonst gab es oft Streit, nicht selten auch Schlägereien. Über die Mädchen im «Navigateur» und ihre Leistungen wurde ausführlich gesprochen. Andere Besatzungsmitglieder zogen die «Florida-Bar» vor. Die Meinungen über Vorzüge und Nachteile der beiden Konkurrenzunternehmen waren etwa geteilt.
    Nicht alle hatten ihren Landgang auf diese Weise verbracht. Ältere Jahrgänge gingen in eine stille Weinstube, wo sie sich mit gutem Rotwein vollaufen ließen.
    Althoff hielt es für seine Pflicht, den jungen Gasten die unterschiedliche Einstellung der Besatzung zu den Genüssen des Landgangs klarzumachen. Nach seiner Terminologie waren alle Weinstubenbesucher «Vollmatrosen» und die Liebhaber von leichten Mädchen «Leichtmatrosen».
    Gerd Knoop gehörte weder zu der einen noch zu der anderen Sorte. Er sparte den Sold, um seine Familie zu unterstützen.
     
    Wieder wurde «seeklar» befohlen. Gerber vermutete eine nächtliche Minenunternehmung. Im Geiste sah er sich bereits mit feindlichen Schnellbooten im Gefecht.
    Kurz nach dreiundzwanzig Uhr legte der alte Dampfer von der Pier ab. Im Bogen lief er auf die geöffnete Schleuse zu. Zwei Logger hatten dort schon festgemacht, ein anderer lief unmittelbar nach dem Führungsfahrzeug ein. Andere Boote machten gerade von der Pier los und strebten ebenfalls der Schleuse zu. Vorsichtig manövrierend und unter ständigen Kommandos für Maschine und Ruder wurde das Fahrzeug in die Schleuse gebracht.
    Als sich das Tor nach Seeseite öffnete, war es dreiviertel zwölf. Die Boote formierten sich zur Kiellinie, der alte Dampfer an der Spitze. Zwischen den Klippen war eine schmale Einfahrt betonnt, die ins freie Meer führte.
    Eine halbe Seemeile vor der Hafeneinfahrt stand eine Leuchtboje. Die Spitze des Verbandes hatte diesen Punkt gerade erreicht, als die Schleuse ein Blinksignal sendete. Auf halbem Wege zwischen Kanalinseln und Küste war ein britischer Zerstörer geortet worden. Sofort ließ der Flottillenchef die Unternehmung belegen. Ein Zerstörer war zu gefährlich.
    Gehorsam gingen die Boote der Gruppe auf Gegenkurs. Eine Viertelstunde nach Mitternacht lagen sie wieder einträchtig an der Pier vertäut. Alle Kesselfeuer wurden gelöscht. Eine reichliche Stunde war die Gruppe in See gewesen, davon knapp dreißig Minuten außerhalb des Hafens.
    Im vorderen Mannschaftsraum an Steuerbord herrschte eitel Freude. Für jeden «Seetag» erhielt das gesamte Deck und Brückenpersonal eine Mark Zulage. Gewertet wurden alle Tage, die ein Fahrzeug mindestens teilweise außerhalb des Hafens verbracht hatte. «Das waren also genau zwei Seetage», lautete die einstimmige Meinung. Ob fünfzehn Minuten auf See oder vierundzwanzig Stunden, spielte dabei keine Rolle.
    Um so mehr fluchten die Heizer im Backbordlogis. Sie erhielten aus unerfindlichen Gründen für jeden «Hafentag» eine Mark Zulage. Die Berechnung erfolgte jedoch anders als bei den Seetagen. Als Hafentage galten lediglich solche Tage, die nicht Seetage waren. Die eine Stunde Fahrt, kurz vor und kurz nach Mitternacht, kostete jeden Heizer glatt zwei Mark. Dafür hatte er nun fünf Stunden lang die Kessel heizen müssen.
    An Steuerbord lagen alle schon friedlich in den Kojen, als nebenan noch immer lautstark über die hanebüchene Ungerechtigkeit bei der Marine geschimpft wurde.
     
    Gerhard Gerber hatte sich an den täglichen Dienstbetrieb gewöhnt. Trotz der harten Arbeit begann die Seefahrt ihm Spaß zu machen. Dennoch - ohne seine Freunde war alles nur halbe Sache. Die Trennung von ihnen wog mindestens so schwer wie die Trennung vom Elternhaus.
    Briefe waren die einzige Verbindung. Mutter brachte allerlei kleine Sorgen an: Die Fleischzuteilung war gekürzt worden; für zwei Personen kochte es sich schwieriger als für drei. Vom Wirtschaftsgeld blieb jetzt immer etwas übrig, weil es wenig zu kaufen gab. Merkwürdig! Dazu hatte Deutschland nun halb

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