Irrfahrt
zuvor gefettet worden. «Es muß eben aussehen wie Arbeit», sagte Ritter treuherzig.
Kurz vor dem Aufklaren kam Schabe und sagte beiläufig zu Gerber: «Du, bring doch mal den Kompaßschlüssel aus dem achteren Maschinenraum auf die Brücke!»
Aber diesmal geriet Schabe an den Falschen. Auf diesen alten Trick, der mit jedem Neuling versucht wurde, war der Matrose Vogel hereingefallen. Schwitzend hatte er einen großen, verrosteten Schraubenschlüssel aus dem hintersten Wellentunnel auf die Brücke geschleppt. «Das ist nicht der richtige», hieß es, «wir brauchen den Schlüssel für die Fluidkompasse und nicht den für den Kreiselkompaß!» Prompt wurde Vogel zurückgeschickt, und das Spiel begann von neuem, zum Gaudium aller befahrenen Seeleute.
Gerber wußte, daß es einen Kompaßschlüssel überhaupt nicht gab. Feixend sagte er: «Tut mir leid, Decksältester! Den hat sich eben unser Obersteuermann geholt.»
Pünktlich um zwölf stand das Essen auf der Back. Bohneneintopf mit Schweinefleisch, süß-sauer abgeschmeckt.Gerber war hungrig und langte tüchtig zu. Plötzlich stieß er auf einen dunkelbraunen ovalen Gegenstand. Das konnte doch unmöglich Fleisch sein? Auch die anderen Männer angelten solche ovalen Dinger aus ihrer Schüssel, legten sie gleichmütig in den Aschenbecher und aßen weiter.
«Kakerlaken», sagte Schabe trocken. «Diese lieben Tierchen bevölkern jeden Dampfer zwischen Hamburg und Hawaii. Dagegen kann man nichts machen.»
Gerber war der Appetit vergangen. Es dauerte einige Wochen, bis er sich mit den Kakerlaken abgefunden hatte.
Die übliche Bezeichnung für Kakerlak war «Schabe», aber dieses Wort sprach an Bord niemand aus. Der Decksälteste verstand keinen Spaß. Wollte ihn jemand mit seinem Namen aufziehen, schlug er unbarmherzig zu. Einige Besatzungsmitglieder hatten eine häßliche Zahnlücke. Das war unverkennbar Schabes Handschrift.
Nach dem Essen legten sich alle Mann in ihre Kojen. Außer Gerber. Der mußte bis vier Uhr Wache schieben. Auch auf den anderen Schiffen herrschte Ruhe: der Nachmittagsdienst im Hafen begann erst um drei.
Heiß brannte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Gerber, die Maschinenpistole über der Schulter, tippelte an der Pier entlang. Die Natur war hier schon sommerlich. In Stralsund blühte gerade erst der Flieder.
Der Hafen bot wenig Abwechslung. Die Kräne standen still, kein Schiff lief in die Schleuse ein. Gerhard hatte nicht gewußt, wie lang vier Stunden sein konnten. Jetzt lernte er es.
Nach endlosem Warten tauchte ein Pferdewagen auf. Laut rumpelte er über die eiserne Klappbrücke und verschwand auf der anderen Seite des Hafens in einem Villenvorort. Das mußte Saint-Servan sein, die Nachbarstadt. Vor der Besetzung hatten dort französische Torpedoboote gelegen. Auf einem Hügel erkannte Gerhard mehrere weißgetünchte Gebäude. Wahrscheinlich ein Lazarett. Von dem Hügel hatte man bestimmt einen herrlichen Blick. Er dachte an seine Freunde, an die Turmbesteigung, und kam sich sehr verlassen vor.
Allmählich gewöhnte Gerber sich an den Trott, der auf Boot 00 üblich war. Die Tage schlichen im Gleichmaß dahin. Saint-Malo schien vom Krieg unberührt.
An Bord wurde gefaulenzt, daß sich die Balken bogen. Der faulste von allen war Hinrich Schabe. Morgens stellte er den Plan für die Posten auf, mittags verteilte er im Logis die Fleischportionen. Das war auch schon alles.
Befehle nahm Schabe äußerst ungern entgegen. Seine Einstellung zum Militärdienst war eine Mischung aus gesundem Selbsterhaltungstrieb, mangelndem Ehrgeiz und einem in langen Jahren zur Vollkommenheit entwickelten Sinn für Drückebergerei. Jeder Schikane, jedem Sonderdienst wußte er geschickt auszuweichen. Wenn bei Kehlhus das Barometer auf Sturm zeigte, was bei dem gutmütigen Mann selten vorkam, meldete Schabe sich sofort unter einem Vorwand an Land ab. Seine Angaben waren schwer nachprüfbar. Er log Kehlhus an wie gedruckt. Je unverschämter, desto glaubhafter, war sein Grundsatz. Wurde er als Deckältester für etwas verantwortlich gemacht, brachte er tausend Ausreden vor. «Wer bei der Marine fährt und keine Ausreden kennt, ist für die Seefahrt untauglich und muß zur Infanterie versetzt werden!»
Typen wie Hinrich Schabe waren unter den Ober-und Hauptgefreiten recht häufig. Für sie gab es in der Marine die ehrenhafte Bezeichnung «Lords».
Viele ältere Besatzungsmitglieder nahmen sich Schabe zum Vorbild, ohne ihn jemals erreichen zu können. In
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