Irrfahrt
vorgestern sein können», meinte er lächelnd. «Immer diese falsche Sparsamkeit... »
«Spare in der Not, dann hast du Zeit dazu», sagte Koppelmann leise zu Bootsmann Huhn. Dieser kannte die zeitgemäße Abwandlung eines populären Werbeverses nicht und kicherte. Thieme verbat sich das. Nur das Jagdfieber hinderte ihn, eine Arreststrafe auszusprechen. Oder war es Aberglaube?
Das Boot lief jetzt seitlich achteraus vom Tanker, um eine günstige Position zu haben. Thieme ließ den Viererfächer sehr eng einstellen. Die Aale sollten unter demselben Schußwinkel im Abstand von jeweils einer halben Minute abgelassen werden. Niemand wagte, die Aussichten zu berechnen.
Eine Viertelstunde vor Mitternacht begann der Angriff. Kaum war der letzte Torpedo ausgestoßen, lief das Boot nur halbe Fahrt. Die E-Maschinen wurden geladen; bis zum Morgengrauen mußte es wieder voll einsatzbereit sein.
Der Treffer am Achtersteven des Tankers war zuerst vom Horchgerät beobachtet worden. Vergebens hatte man daraufhin nach einer Wassersäule Ausschau gehalten, er mußte in der Nähe des Ruders gesessen haben, tief unter dem ausladenden Heck des Fahrzeuges.
Als das Boot näher kam, sah die Brückenwache das norwegische Schiff bewegungslos auf dem Wasser liegen. Thieme überlegte. Ein so großes Fahrzeug blieb möglicherweise schwimmfähig, wenn es nur in der letzten Abteilung getroffen war. Er beschloß, noch einen Torpedo in Richtung Maschine abzulassen. Der Schornstein galt als Richtpunkt.
Ein Anfänger hätte treffen können. Der hohe Wasserpilz vermischte sich mit einer Qualmwolke und glutroten Flammen. Aufbauten flogen durch die Luft, und eine halbe Minute später war das gesamte Achterdeck in Flammen gehüllt. Die Männer auf dem Tanker hatten kein Rettungsboot zu Wasser gebracht, als der erste Torpedo einschlug. Jetzt war es zu spät. Immer mehr Heizöl quoll aus dem zerrissenen Schiffsleib und nährte die gewaltige Feuersbrunst.
Die U-Boot-Fahrer sahen sich gegenseitig an. In dem rötlich flackernden Schein des hochlodernden Feuers waren ihre Gesichter gespenstisch verzerrt. Koppelmann dachte an die Wiedergabe des Teufels auf mittelalterlichen Gemälden.
Am Vorschif f drängten sich die Besatzungsmitglieder des Tankers zusammen. Notdürftig versuchten sie sich mit Lappen und nassen Tüchern gegen die sengende Hitze zu schützen. Einer nach dem anderen sprang ins Wasser, doch das Flammenmeer breitete sich auch dort aus. Sogar auf der Brücke des U-Bootes war die Hitze zu spüren. Ein heißer Atem wehte die Männer an, der Atem des Todes.
Als das brennende Öl den ersten Schwimmer erreichte, hörten sie seine Schmerzensschreie. Bald herrschte wieder tiefes Schweigen. Dieses grausige Schauspiel wiederholte sich mehrere Male. Wer am besten schwimmen konnte, hatte die längste Qual zu erleiden. Koppelmann verstand jetzt, warum viele alte Seefahrer nicht schwimmen lernten. Sie wußten, daß diese Kunst in der Todesstunde ihre Qualen nur verlängerte.
Immerfort blickten sich die Schwimmer nach den Flammen um. Mit wilden Armbewegungen peitschten sie das Wasser, ohne dadurch schneller vorwärts zu kommen. Einer nach dem anderen wurde von den Flammen überholt, schrie um sein Leben und verbrannte.
In den Herzen der U-Boot-Fahrer, die schon viel gesehen hatten, bohrte ein Gefühl von Beschämung. Dieser qualvolle Tod für mehrere Dutzend Seeleute war ihr Werk. Sie waren fast froh, als sich das große Schif schwerfällig auf die Seite drehte und im Ozean versank.
Den Kapitänleutnant Lutz Thieme bewegte anderes. Neun Torpedos hatte er gebraucht, um das Wild zur Strecke zu bringen. Er konnte sich schon jetzt ausrechnen, daß ihm der Flottillenchef deswegen Vorhaltungen machen würde.
Das Boot wurde heimwärts beordert. Bei der AK-Fahrt war der Ölvorrat erheblich zusammengeschrumpft, auch gingen die frischen Lebensmittel zur Neige. An warmen Speisen gab es nur noch Erbsen-, Reis- und Makkaronigerichte, die bald keiner mehr essen wollte. Koppelmann ernährte sich hauptsächlich von Knäckebrot und holländischem Käse. Mancher aß gar nichts mehr, es schmeckte einfach nicht.
Die Backofenhitze im Boot verleitete dazu, viel Flüssigkeit aufzunehmen. Die Folge waren Schweißausbrüche. Natürlich hatte keiner gewagt, sich zu rasieren. Nach altem Seemannsaberglauben bringt es Unglück, sich auf der Fahrt den Bart abzukratzen. Hitze und schlechte Ernährung führten dazu, daß sich bei vielen Männern unter dem Bart und im Genick
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