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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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deutlich zu erkennen.
    Was einige Männer bis dahin nicht hatten glauben wollen: Hier war ein deutsches Schwesterboot versenkt worden. Lange Zeit sprach niemand ein Wort. Dieses Schicksal stand auch ihnen eines Tages bevor. Von nun an würden sie diese Untergangsstelle immer vor Augen haben, bei jedem Wasserbombenangriff, bei jedem Auslaufen, in jedem Augenblick der Gefahr.
     
    Kapitänleutnant Thieme saß über den Karten und rechnete. Er mußte versuchen, in weitem Bogen südlich um das Geleit herumzulaufen und per Kreuzeraufgabe wieder in eine vorliche Position zu kommen. Dafür stand ihm nur noch ein halber Tag zur Verfügung. Am anderen Morgen würden sich die Schiffe bereits in Reichweite der Catalina-FIugboote befinden, die an der amerikanischen Küste stationiert waren. Dort aber war Mitte 1942 für deutsche U-Boote nichts mehr zu holen.
    Thieme ließ Höchstfahrt laufen. Die Ausguckposten erwarteten, irgendwo Steuerbord voraus eine Kette von Rauchfahnen zu entdecken. Um so überraschter waren sie, als Backbord querab ein dünner Streifen Qualm sichtbar wurde. Der Kommandant nahm die Verfolgung des Einzelfahrers auf. Kurz vor Anbruch der Dunkelheit hatten sie ihn im Fernglas. Es war «ihr» Tanker. Offenbar war er nach Durchlaufen der Hauptgefahrenzone abgeschwenkt, um einen Hafen weiter südlich an der amerikanischen Küste zu erreichen.
    Der Tanker steuerte einen wilden Zickzackkurs. Mit Stoppuhr, Karte und Peilrahmen standen Thieme und die beiden Wachoffiziere auf der Brücke und bemühten sich, dem «System» des Tankers auf die Schliche zu kommen. Der beste Mann wurde ans Ruder gestellt, damit ihr Boot genauen Parallelkurs hielt.
    Mehrfach glaubten die Offiziere das Verfahren entdeckt zu haben. Sie begannen vorauszusagen, wann der Tanker wieder zacken müßte. Sein System schien aus mehr als zehn Elementen zu bestehen. Eine Weile klappte die Voraussage, plötzlich wurde alles wieder umgeworfen. Gereizte Worte fielen, Flüche, die dem Kapitän des großen Schiffes galten.
    Nach zwei Stunden hatte Koppelmann ungezählte Blatt Papier beschrieben; dem Ziel war man um keinen Schritt näher gekommen. Auf dem Tanker saßen ganz ausgekochte Männer. Selbst Thieme, der selten lobte, mußte das einsehen. Dennoch gab er nicht auf. «Zweierfächer fertigmachen», kam sein Kommando durch das Sprachrohr. Der I WO stand am Nachtzielgerät, der II WO war in den Bugraum abkommandiert, um das Einschieben der Torpedos zu überwachen. Zehn Minuten später löste Thieme den Schuß aus.
    Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Bei der großen Entfernung von beinahe einer Seemeile war ein Fehlschuß ebensogut möglich wie ein Treffer.
    Nach zweieinhalb Minuten stand fest, daß beide Torpedos ihr Ziel verfehlt hatten. Der Kaleu ließ zwei neue Rohre fertigmachen. Als er wieder zum Horizont schaute, war der Tanker zu einem winzigen Punkt zusammengeschrumpft. «Verdammte Scheiße!» rief Thieme. «Jetzt hat er die Torpedos im Horchgerät mitbekommen und ist abgedreht.»
    Das Wettrennen mit dem schnellen Tanker war nicht besonders aussichtsreich. Wenn er mit Höchstfahrt lief, konnte es das kleine Boot knapp schaffen, näher heranzukommen. Die Abstände wurden laufend gemessen. Als die Jagd schon eine halbe Stunde ging, waren alle verzweifelt. Mit «zweimal AK» schnitt ihr U-Boot durch die Wellen. Laut hämmerten die Dieselmotoren, die Ventile knackten im Rhythmus. «Zusatz E-Maschinen», befahl Thieme. Sekunden später surrten die Elektromotoren.
    Was er jetzt unternahm, war mehr als riskant. Ohne Schonung der Batterien konnte das Boot nur wenige Stunden laufen, wenn es bei einem Angriff tauch klar und manövrierfähig bleiben wollte. Aber Thieme war wütend. «Seinen Tanker» mußte er haben. Aus Vergeltung für das Schwesterboot, wie er sagte.
     
    Langsam kam das Boot auf: fünftausend Meter ... viertausendfünfhundert... viertausend. Der Tanker hatte aufgehört, seinen Zickzackkurs zu laufen; er versuchte mit Höchstgeschwindigkeit zu entkommen. Der Funkmaat meldete unverschlüsselte Funksignale: «Tanker Skandinavia, Norway, chased by German submarine, position ... »
    Thieme hörte diese Nachricht äußerst ungern. Morgen früh würde er eine Hunter-killer-Gruppe auf dem Halse haben. Mit leeren Batterien war das kein ermutigender Gedanke. «Noch einen Anlauf», sagte er. «Wenn wir es jetzt nicht schaffen, drehen wir ab.» Er befahl, aus allen vier Bugrohren gleichzeitig zu schießen. «So schlau hätten wir schon

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