Irrfahrt
ein stark juckender Hautausschlag bildete. Wer sich nicht beherrschen konnte, hatte bald eine große Anzahl eitriger Geschwüre. Helmut, der gegen Salzwasser empfindlich war, holte sich aus der Kombüse etwas Salatöl und versuchte damit seine Haut zu schützen. Sie zeigte schon tiefe Risse, die bei jeder Bewegung der Gesichtsmuskeln schmerzten.
Unter der Besatzung mehrten sich die Symptome hochgradiger Erschöpfung. Die Gesichter der Männer waren eingefallen, sie wirkten um Jahre gealtert. Als Koppelmann in den Spiegel schaute, erkannte er sich kaum wieder. «Das soll ich sein», rief er entgeistert. Mit seinen langen, schütteren Bartstoppeln sah er aus wie ein Landstreicher.
Wochen hindurch hatte die Mannschaf t bei dem harten Dienst nur wenig Schlaf gehabt. Die körperliche und nervliche Anspannung entlud sich in heftigen Wortgefechten. Selbst Männer, die gute Freunde waren, verzankten sich aus nichtigem Anlaß. Für diesen Zustand hatte ein Facharzt für Nervenleiden die treffende Bezeichnung «Blechkrankheit» geprägt. Immer dieselben Menschen, immer dieselben Gesprächsthemen, immer derselbe Dienst und dieselbe Umgebung aus Blech, Röhren, winzigen Möbeln und technischen Geräten. Mancher mußte von der U-Boot-Waffe abkommandiert werden, weil er der nervlichen Belastung nicht standhielt. Nicht wenige landeten in der geschlossenen Abteilung einer Anstalt.
Helmut Koppelmann dachte jetzt of t an seinen Schulfreund Gerhard Gerber. Der hatte es gut. Saß in einem Seebad und fischte ab und zu mal ein paar Minen. Wegen einer Mittelohrentzündung war er nicht mehr k. v. u. Helmut hätte in diesen Tagen gern mit ihm getauscht.
Nach vier Stunden Brückenwache war Helmut gerade eingedöst, als er von Bootsmaat Schwarz unsanf geweckt wurde. «Reinschiff! Du holst jetzt gleich einen Feudel und machst hier die Bude sauber. Aber ein bißchen dalli!»
Verwundert schaute Koppelmann aus seiner Koje. Laut Befehl des I WO war die Brückenwache vom Reinschif befreit. Das wußte auch Schwarz. Helmut öffnete den Mund, um etwas zu seiner Entschuldigung zu sagen, da schlug ihm Schwarz bereits die Faust ins Gesicht. Helmut blutete an der Oberlippe. «Los raus, du blöder Hund!» brüllte der Bootsmaat. «Reinschif f habe ich befohlen!» Er hob den Arm und holte zum zweiten Schlag aus.
Zu Koppelmanns Rettung erschien Oberleutnant Berger im Schott. Er hatte den Lärm gehört. «Schwarz!» sagte er schneidend und scharf. Der Bootsmaat fuhr erschrocken herum und versuchte, eine stramme Haltung anzunehmen. «Schwarz, Sie kommen sofort zu mir!»
Gehorsam trottete Schwarz hinter dem Oberleutnant her. Berger goß ihm ein großes Glas Kognak ein, dann noch ein zweites. Als der Maat zu einer Erklärung ansetzen wollte, schnitt Berger ihm das Wort ab. «Gehen Sie in Ihre Koje. Die Reinigung des Bootes überwacht heute ein anderer. Sie scheinen mir nicht in der geeigneten Verfassung zu sein.»
Wenig später ging Berger, die Flasche unter dem Arm, zu dem Matrosen Koppelmann. «Sie müssen das verstehen. Er meint es ja nicht so, hat einfach durchgedreht ... » Koppelmann versprach, keine Meldung an den Kommandanten zu schreiben. Thieme schlief, er hatte von dem Vorfall nichts bemerkt.
«Ein Glück», sagte Berger. «Der Kaleu hätte unseren Kolonialpionier sonst in die Klapsmühle geschickt.»
Koppelmann spürte, daß er von diesem Augenblick an beim I WO einen Stein im Brett hatte. Das kann nie schaden, dachte er, dafür lasse ich mir sogar eins in die Schnauze hauen.
Morgens um sechs Uhr schrillten die Alarmglocken zum erstenmal. Eine Catalina hatte das Boot ausgemacht und flog zum Bombenwurf an. Gerade noch rechtzeitig ging das Boot auf Tiefe. Koppelmann erschrak, als die zwei Bomben dicht neben der Bordwand explodierten. Sie richteten aber weiter keinen Schaden an.
In langsamer Unterwasserfahrt versuchte Thieme vorwärts zu kommen. Ein Flugzeug war nicht gefährlich, solange es keine Verstärkung erhielt. Trotzdem blieb er vorsichtig. Erst nach einer Stunde ging er auf Sehrohrtiefe. Er peilte lange, bevor er auftauchen ließ. Der Himmel war bedeckt. Schwere graue Wolken hingen nur wenige hundert Meter über dem Ozean. Die Motoren begannen wieder zu rattern, unter der Brücke wurde Frischluf t in das Boot gesaugt; der Leitende Ingenieur begann die Akkumulatoren vollzuladen.
Kaum befand sich die Wache auf der Brücke, stieß das Flugzeug durch die Wolken, genau auf das Boot zu. Alarmtauchen! Wenig später befahl Thieme:
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