Irrfahrt
sind leider die Maus, dachte Koppelmann. Vorhin, beim Angriff auf den Tanker, spielten wir die Katze.
Thieme hatte ebenfalls Höchstfahrt aufgenommen und lief unter dem Zerstörer mit. Die Männer hörten eine große Serie Wasserbomben auf das Meer klatschen. Oberleutnant Berger wollte achtzehn gezählt haben. Die Serie war breit, aber nicht lang auf das Wasser geworfen.
Koppelmann schrie. Seine Schreie mischten sich mit den irrsinnigen Rufen anderer und mit dem Krachen der detonierenden Bomben. Das kleine Fahrzeug zitterte wie ein Aal, der an Kopf und Schwanz von glühenden Pfeilen durchbohrt wird. Im Boot wurde es stockfinster. Schwer sackte es achtern ab. Klirren. Mit scharfem Strahl strömte Wasser ein.
Allmählich kamen die ersten Meldungen. Das Horchgerät war ausgefallen. Taschenlampen flackerten auf, an der Lichtanlage wurde fieberhaft gearbeitet. Dem Leitenden Ingenieur gelang es, durch Umfluten das Boot wieder halbwegs in die Gleichgewichtslage zu bekommen. Der Tiefenmesser zeigte neunzig Meter. Bald brannte eine trübe Notbeleuchtung. Der Funkmaat meldete, die Reparatur des Horchgerätes würde eine halbe Stunde dauern, vielleicht auch länger. Das Leck war bereits abgedichtet, die Lenzpumpe in der Bilge beseitigte das eingedrungene Wasser.
Helmut Koppelmann faßte langsam wieder Mut. Die Ruhe des Kommandanten übertrug sich auf ihn. Schließlich flammte das Licht auf, und alles machte wieder einen halbwegs normalen Eindruck. Koppelmann begab sich an seinen Platz und begann die notwendigen Eintragungen zu machen. Der Kaleu diktierte die Uhrzeit des Wurfes und auch die geschätzte Entfernung der Einschläge.
Auf Schleichfahrt liefen sie aus dem Bereich des Zerstörers. Im Boot wurde nur geflüstert. Wenn schon das Horchgerät fehlte, wollte man wenigstens die Schraubengeräusche so zeitig wie möglich erfassen. Mehrfach waren sie schwach hörbar, aber der Zerstörer suchte offenbar in einem falschen Sektor.
Nach zwanzig Minuten wurde das Horchgerät «klar» gemeldet. In regelmäßigen Abständen kam die beruhigende Meldung: «Keine Schraubengeräusche.» Noch eine halbe Stunde blieb Thieme unten, dann ließ er vorsichtig auftauchen. Als erster kletterte er auf die Brücke. Der Horizont war ringsum leergefegt. Vom Geleitzug keine Spur. Helmut fühlte sich wie neugeboren. In tiefen Zügen atmete er die reine, salzhaItige Luft ein. Noch nie war ihm ein Morgen so strahlend schön erschienen.
Auf der Brücke wurde beraten, was nun zu tun sei. Irgendwo mußte der Konvoi ja geblieben sein. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder war er den veränderten Kurs, weitergelaufen, oder er hatte lediglich gezackt und war in den Morgenstunden wieder auf den alten Kurs zurückgefallen. Thieme hielt die zweite Möglichkeit für wahrscheinlich. Der Bestimmungshafen war festgelegt, und der Konvoi durfte von der geplanten Route nicht allzusehr abweichen. Danach ließ der Kommandant seinen Kurs abstecken und lief mit Höchstfahrt dem Geleit nach.
Der Funkspruch von 0040 war inzwischen überholt. Thieme setzte eine neue Meldung auf: «Geleit seit 0030 auf Kurs 330 geschwenkt. Boot von Zerstörer 0045 geortet, zwei Stunden Tauchfahrt und Wasserbombenverfolgung. Noch 9 Torpedos, 32 Tonnen Brennstoff, Position FK 33-64, setze nach. Boot kampf- und tauch klar. Thieme.» Koppelmann staunte ehrlich, wie viele Angaben dieser kurze Text enthielt.
Der Kommandant hatte eine Laune, wie sie schlechter nicht zu denken war. Mindestens einen Tag würde es dauern, bis das Boot wieder zum Geleit aufschließen konnte. Vielleicht war der Kontakt für immer verloren.
Gegen Mittag wurden Trümmer und WrackteiIe gesichtet. Thieme kam auf die Brücke, äugte kurz durch sein Fernglas und ließ das Boot stoppen. Was mochte hier passiert sein?
Ein riesiger Ölfleck von mehreren hundert Metern Durchmesser breitete sich auf dem Wasser aus. Einzelne tote Fische schwammen darin. In der Nähe des Zentrums trieben Fetzen verschiedener Kleidungsstücke. Thieme ließ vier Mann auf die Back treten und mit Bootshaken auffischen, was in Reichweite kam: Reste einer Matratze, Putzlappen und Werg, kleine Stücke einer Lederhose, zwei volle Konservenbüchsen, Seestiefei, eine zerrissene Schwimmweste.
Koppelmann drehte sich der Magen um. Es war nicht nur der widerliche Geruch des Öls, der die Übelkeit hervorrief. Leichenteile kamen zum Vorschein - ein abgerissener Arm, am Handgelenk noch die Uhr. Trotz des gesprungenen Glases war die Firmenbezeichnung
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