Irrfahrt
sich arg gestoßen. Die Beule schmerzte, und überhaupt fühlte er sich ziemlich elend.
Bootsmaat Kern begann zu spucken. In einem Augenblick der Unaufmerksamkeit hatte er Wasser geschluckt. Nun brannte die salzige Flüssigkeit in seiner Kehle. Krächzend versuchte er, das Meerwasser aus Mund und Rachen zu entfernen. Wie ein Rabe, dachte Heinz. Er erinnerte sich an die Warnung eines Kameraden: «Wenn man erst Wasser geschluckt hat, ist es bald vorbei, dann macht keiner mehr lange.» Frase hatte das wohl gesagt. Frase hatte einen leichten Tod gehabt.
Heinz war nun sehr vorsichtig. Er befeuchtete nicht einmal seine aufgesprungenen, salzverkrusteten Lippen. Warum kam niemand, um sie zu retten? Das nächtliche Gefecht hatte man bestimmt an Land beobachtet. Wenn ein Schif f bei Sonnenaufgang ausgelaufen wäre, müßte es eigentlich schon hiersein. .. Heinz schaute sich angestrengt um. Aber der Horizont blieb leer.
Der Bootsmaat würgte und würgte. Er konnte kaum noch das Gleichgewicht halten. Bei einem Hustenanfall drang wieder eine Ladung Seewasser in seinen Mund. Wild schlug er um sich, hustete und gurgelte. Die Männer sahen weg. Es dauerte mehrere Minuten. Sie verrannen so langsam wie Stunden. Kern hatte die Reling losgelassen und lag bewegungslos auf dem Rücken. Sanf liefen die Wellen über sein Gesicht und in den offenen Mund. Kern war tot.
Harms verholte das Schlauchboot eine Strecke weit. Eine Erklärung brauchte er nicht zu geben; die Männer schlossen sich wortlos an. Erst als Kern außer Sichtweite war, ließen sie sich mit ihrem halb zerfallenen Boot wieder treiben.
Spindler wimmerte leise. Stirn und Gesicht waren tiefrot, die Haut schälte sich ab. Er hatte einen starken Sonnenbrand. Mit geschlossenen Augen und zusammengepreßten Lippen begann er, seinen schmerzenden Kopf unter Wasser zu tauchen, um Linderung zu finden. Nach dem erstenmal mußte er schnauben, beim zweitenmal spuckte er Meerwasser aus. Eine Viertelstunde später gurgelte er wie Kern. Wenn ich mir nur die Ohren zuhalten könnte, dachte Heinz. Jede Einzelheit dieses Todeskampfes war zu hören.
Nun blieben nur noch drei. Stumm schauten sie einander an. Wer würde der nächste sein? Und noch immer kam kein Schif f über die Kimm. Hatte man sie in Porto Empedocle bereits abgeschrieben?
Heinisch hatte an der Untergangsstelle ausgelaufenen Treibstof f in die Augen bekommen. Immer häufiger rieb er die brennenden Lider. Harms versuchte, ihn zu beruhigen; helfen konnte er ihm nicht. Ohne Klage ertrug Heinisch seine Qualen.
Heinisch machte ein schnelles Ende. Tief drückte er seinen Kopf unter Wasser. Eine halbe Minute sahen ihn Harms und Apelt noch zucken, dann hatte er alles überstanden.
Der Kommandant und sein jüngster Matrose waren nun allein in der weiten Wasserwüste. Harms zitterte vor Kälte, seine Zähne schlugen aufeinander. Große Brandblasen bedeckten sein pausbäckiges Gesicht.
Die Sonne stand fast senkrecht über ihnen und brannte mit aller Schärfe. Vor ihr gab es kein Entrinnen. Harms begann seine Augen zu verdrehen. Immer nur für wenige Sekunden, dann war er wieder klar. Heinz wußte nicht, was hier vorging. Plötzlich sah er, daß Harms die Außenleine des Schlauchbootes losgelassen hatte. Lang tete, das alle Ängste und Schmerzen fortnahm.
Er konnte sich jetzt über das Wasser erheben. Völlig schwerelos war sein Körper geworden. Die Strahlen der Übersonne hoben ihn leicht empor, und ein Gefühl der Zufriedenheit durchrieselte seine Glieder. In diesem glückseligen Augenblick hatten die furchtbaren Ereignisse der letzten Stunden jegliche Beziehung zur Wirklichkeit verloren.
Mit beiden Füßen stand er auf dem sanf t bewegten Wasser. Unter ihm war ein Kopf. Er gehörte zu einem Mann, der sich nur mit großer Anstrengung über Wasser hielt. Der Schwimmer hatte beide Augen fest geschlossen, seine Hände umklammerten die Leine des kleinen Rettungsbootes. Heinz schaute genauer hin und erkannsam trieb er ab. Heinz ruderte näher und faßte ihn beim Arm. Schwer hing der Körper im Wasser, starr blickten ihn die Augen an. Er brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß der Kommandant schon tot war.
Heinz fühlte sich grenzenlos verlassen. Solange Harms lebte, hatte er noch ein kleines Fünkchen Hoffnung gehabt. Er schloß die Augen, um die qualvoll brennende Sonne nicht mehr sehen zu müssen. Doch sosehr er die Lider auch zusammenkniff, die Sonne verschwand nicht. Sie stand unmittelbar vor ihm und folgte jeder Bewegung
Weitere Kostenlose Bücher