Irrfahrt
auswendig, was der Reserveoberleutnant nicht of t genug loben konnte. Auch von anderen Ausbildern wurde Koppelmann eindeutig bevorzugt. Lag das nun an seinem Fleiß oder am EK I?
Gerber richtete sein Augenmerk auf praktische Dinge. Signalalphabet und Flaggenzeichen, Betonnung des Fahrwassers und Seestraßenordnung. Davon hatte nun wieder Koppelmann kaum eine Ahnung. Wer so lange an der Küste umhergeschippert war wie Gerber, begrif das Wichtigste schnell und brauchte nur ein wenig Ordnung in sein Wissen zu bringen: Wegerecht, kreuzende Fahrzeuge, überholende Fahrzeuge. «Aus einem überholenden Fahrzeug wird nie ein kreuzendes!» Warum eigentlich?
Allmählich gewöhnten sich die Schüler an das finstere altmodische Gebäude. Auf den Fluren standen blank geputzte Vitrinen mit Schiffsmodellen. Natürlich hatte jeder das Baujahr dieser historischen Schiffe zu wissen, wo sie gekämpf t hatten und wie sie untergegangen waren. Merkwürdig: Für Unglücksschiffe, die versenkt wurden, ohne je eine größere Leistung vollbracht zu haben, schien die Kriegsmarine eine besondere Vorliebe zu besitzen.
Nicht anders verhielt es sich mit den hohen Herrschaften. Admiral Spee, der 1914 sein gesamtes Geschwader sich selbst und zwei seiner Söhne dazu - in einer völlig sinnlosen Operation an einem Tage verheizte, hing an einem bevorzugten Platz in Öl gemalt an der Wand. Admiral Scheer, dessen taktische Führung vor dem Skagerrak allgemein, wenn auch nicht öffentlich, belächelt wurde, hatte einen fast ebensoguten Platz erhalten. Leuchtend prangte sein Pour le Merite den ihm der Kaiser verliehen hatte, um wenigstens nach außenhin die mangelhafte Führung der Hochseeflotte zu übertünchen.
Der bedeutendste Mann aus der Ahnengalerie war zweifellos Oll Tirpitz. Mit kalten zornigen Augen über dem gezwirbelten Bart blickte er auf den Betrachter herab, als sei er im Begriff, eine Schimpfkanonade loszulassen. Die älteren Ausbilder hatten noch in der kaiserlichen Marine gedient und sprachen mit einer gewissen Scheu vom gefürchteten Tirpitz. Immerhin: Er hatte die Marine aus ihrem Aschenbrödeldasein zu einer glänzenden Waffengattung erhoben und aus dem Offizierskorps eine verschworene Gemeinschaf t geformt, einig in dem Willen nach Seegeltung und alldeutschem Weltmachtstreben - altes Gesichtspunkte, an die tagtäglich im Unterricht angeknüpf t wurde.
Gerber spitzte die Ohren, als er vernahm, daß Tirpitz sich nicht nur als Großadmiral, sondern auch als Politiker einen Namen gemacht hatte. Sein Chefpropagandist im «Alldeutschen Verband» war ein Kapitänleutnant a. D. Weyer, der gleiche, der später das berühmte «Taschenbuch der Kriegsflotten» herausgab.
Natürlich konnte man auch die Porträts der lebenden Größen bewundern. Allen voran der Großadmiral Dr. h. c. Erich Raeder, von dem es hieß, er sei mit der Feder gewandter als mit Worten. Raeder stammte aus der Tirpitz-Schule. Seit seinem achtzehnten Lebensjahr bei der Marine, hatte er die Leiter des Erfolges beharrlich Stufe um Stufe erklettert. Die älteren Ausbilder stellten ihn als leuchtendes Vorbild hin, obwohl es eigentlich nichts Aufsehenerregendes über ihn zu berichten gab. Er segelte ganz im Fahrwasser des alten Tirpitz, wenn er auch jetzt noch von Hitler den Ausbau einer milliardenschweren Überwasserflotte forderte; dabei war über dieses Thema bereits mit dem Untergang der «Bismarck» der Stab gebrochen.
Raeders Vorliebe galt historischen und theoretischen Problemen. Reine Techniker oder Taktiker, wie sie unter der jüngeren, von Dönitz angeführten Generation vorherrschten, standen auf der Marineschule Mürwik nicht hoch im Kurs.
Die Schüler merkten nichts von diesen Zwistigkeiten. An der Oberfläche war alles glatt, die Ausbildung verlief in eingefahrenen Gleisen. Preußische Marinetradition, EIitedenken, Kastengeist, Chauvinismus wurden ihnen tropfenweise und mit Nachdruck eingeimpft.
Der November war vergangen, und als Monatsergebnis lagen 800000 Bruttoregistertonnen feindlichen und neutralen Schiffsraumes auf dem Boden des Meeres. Ein Grund mehr für die U-Boot-Fahrer, die Nase noch ein Stückchen höher zu tragen, ein Grund mehr für die Ausbilder, noch mehr von Seegeltung und Weltmacht streben des Großdeutschen Reiches zu reden, als stünde der «Endsieg» unmittelbar bevor.
Andere Meldungen fanden weniger Beachtung. Der Vormarsch im Osten war praktisch zum Stillstand gekommen, bei Stalingrad und im Vorland des Kaukasus wurde
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