Irrflug
möglich alles hinter sich lassen. Alles.” Häberle machte eine Pause und klappte die Sonnenblende nach unten. „Und das Verschwinden sollte ganz mysteriös ausschauen. Erinnern Sie sich?”, wandte er sich an Linkohr, „das chaotische Arbeitszimmer bei ihm daheim und die zerschlagene Scheibe?”
Linkohr nickte eifrig.
„Er hat behauptet”, fuhr Häberle fort, als sie auf dem vierspurigen Stück an Salach vorbeikamen, „der Wind habe die Scheibe zertrümmert. Falsch – das haben wir schon erkannt. Sie wurde eingeschlagen, was die innen liegenden Scherben beweisen. Irgendwie war’s Rottler doch auch peinlich, dass wir die ganze Situation gesehen haben. Ist verständlich”, grinste er, „der hatte einen Einbruch vortäuschen wollen. Das erklärt, weshalb die Scherben innen liegen mussten. Das war so gewollt. Und sein Arbeitszimmer sieht sicher normalerweise überhaupt nicht so chaotisch aus. Schon gar nicht bei einem Finanz-Chef.” Häberle achtete darauf, dass er die erlaubten 70 km/h nicht überschritt. „Nein, nein”, erklärte er weiter, „da sollte die Polizei, wenn sie in ein paar Tagen nach dem verschwundenen Rottler gesucht hätte, eine Einbruchsituation vorfinden: Scheibe kaputt, Zimmer durchsucht. Der arme Rottler, so hätte man befürchtet, wäre Opfer eines Verbrechens geworden.” Der Kriminalist war jetzt voll in seinem Element. „Niemand hätte ihn, wär’ alles gut gegangen, mit dem Diebstahl eines Flugzeugs auf der Hahnweide in Verbindung gebracht. Warum auch? Er hatte doch auf elf Uhr ganz ordentlich eine Maschine gechartert gehabt. Und wenn dann später vielleicht eine Verbindung zwischen ihm und der irgendwann natürlich auch als vermisst gemeldeten Heidrun Pulvermüller entdeckt worden wäre – mein Gott”, sagte Häberle und zuckte mit den Schultern, „bis dahin wären die beiden Herrschaften längst in fernen Landen gewesen, dort, wo Rottler und Co. wahrscheinlich seit Langem ihr Geld – und womöglich das vieler anderer – hintransferiert haben.”
Linkohr war von den Ausführungen seines Chefs angetan.
Der Jung-Kriminalist wagte schließlich, als sie den Stadtrand von Eislingen erreichten, einen Einwand: „Aber warum schlägt Rottler dann vor dem Abflug in ein neues Leben ausgerechnet sein neues Betthasl tot?”
Häberle hob beschwichtigend die Hände und ließ dazu für einen kurzen Augenblick das Lenkrad los. „Das ist vorläufig das große Rätsel.”
„Und Rottler”, machte Linkohr weiter, „der war es dann wohl auch, der am Abend, im Schutze der Dunkelheit, bei der Pulvermüller eingebrochen ist, um alles, was bei ihr auf ihn hätte hindeuten können, zu beseitigen. Immerhin dürfte es für ihn als Mitarbeiter einer Computer-Firma nicht ganz schwer gewesen sein, die Festplatte aus dem PC zuholen.”
„Exakt”, bekräftigte Häberle, „dabei hätten wir ihn um ein Haar geschnappt. Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass wir so schnell das Opfer identifizieren würden.”
„So kann man sich verrechnen”, stellte Linkohr nickend fest.
„Und ich bin sicher”, ergänzte sein Chef, „da verrechnen sich noch mehr.” Er lächelte, obwohl die nächste Ampel Rot leuchtete.
Das Liebespaar, das sich für die viersitzige Cessna 172 zu interessieren schien, die auf dem asphaltierten Vorplatz der Motorflugschule stand, grüßte freundlich die vorbeikommenden Personen. An zwei anderen Maschinen stiegen Piloten und Passagiere ein. Samstags war der Chef der Motorflugschule, Horst Hauff, nicht da. Ihn vertraten meist verschiedene ehrenamtliche Mitarbeiter, die dafür sorgten, dass der Charterbetrieb reibungslos funktionierte. Wer ein Flugzeug bestellt hatte, musste sich bei ihnen melden und bekam eine Maschine zugeteilt.
Das Liebespaar ging die paar Schritte bis zum Rande des Vorplatzes vor, wo der Rollweg begann. Von hier aus konnten die beiden das Geschehen auf dem Flugplatz besser verfolgen. Ein sommerliches Wetter, wie das heutige, hatte die Sportflieger zuhauf angelockt. Mehrere Dutzend Segelflugzeuge, die abseits des Rollwegs auf der Wiese standen, blitzten in der Sonne. Der Tiefdecker, der als Schleppmaschine diente, war unablässig damit beschäftigt, Segler in die Lüfte zu bringen und sie hinüber zur Thermik-haltigen Albkante zu ziehen. Kaum waren die Maschinen ausgeklinkt, setzte der Schlepper bereits wieder zur Landung an, um die nächste in den sommerblauen Himmel zu hieven.
Der Mann, der mit der jungen Frau das Geschehen aufmerksam
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