Irrflug
fährt mit dem Linienbus nach Geislingen, nimmt ab dort vermutlich den Zug und kann auf diese Weise bereits ziemlich früh wieder in Göppingen sein. Als ob nichts gewesen wär’. Seine Pilotentasche, die er die ganze Zeit über mit sich herumgeschleppt hat, schließt er in seinem Büro in den Tresor ein. Denn da war ja, wie wir inzwischen wissen, mächtig viel Geld drin. Warum er’s nicht daheim deponiert hat, was einfacher gewesen wäre, weiß ich nicht. Noch nicht.” Er machte wieder eine kurze Pause. „Dann fährt er ganz normal, als ob nichts gewesen wär’ zur Hahnweide, wo er ja auf elf Uhr einen Flieger gechartert hatte. Er ist natürlich von der Polizei-Aktion dort völlig überrascht – tut jedenfalls so – und kehrt unverrichteter Dinge zu seiner Firma zurück.”
Linkohr nickte anerkennend. Hilgenrainer schwitzte immer stärker.
„Und jetzt”, Häberle deutete mit dem Zeigefinger drohend auf seinen Gesprächspartner, „jetzt frag’ ich Sie, was Sie von all dem wissen?”
Der Angesprochene war weiß wie die Wand. Er schluckte. „Nichts, Herr Kommissar, nichts.” Seine Stimme war schwach.
Häberle schwieg für einen Augenblick. „Okay, Herr Hilgenrainer, dann eben nicht.” Er stand auf. „Das war’s dann wohl.” Wortlos wandte er sich um, während sein Kollege nun ebenfalls aufstand. Ohne sich zu verabschieden gingen sie aus dem Haus und ließen einen völlig verstörten Hilgenrainer im Wohnzimmer sitzen. Der Mann war wie gelähmt, wie vom Blitz getroffen.
Als sie wieder in ihrem Dienst-Mercedes saßen, der so heiß wie ein Brutkasten war, lehnte sich Häberle hinterm Steuer entspannt zurück. „Der ist ganz schön ins Schwitzen gekommen.” Der Kommissar machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung des Hauses.
Linkohr auf dem Beifahrersitz lächelte. „Wahrscheinlich hockt er noch wie versteinert rum.”
Häberle startete den Motor und ließ die Seitenscheiben herabgleiten. „Jedenfalls bin ich mir ganz sicher, dass sich das auf der Hahnweide so zugetragen hat.”
Der junge Kollege sah seinen Chef beeindruckt an. „Da haut’s dir’s Blech weg. Aber nur so kann’s gewesen sein. Der Rottler ist mir gleich von Anfang an suspekt vorgekommen.”
Der Kommissar drehte auf der schmalen Straße um, in dem er rückwärts in eine Garagenzufahrt rangierte. Als der Mercedes das Neubaugebiet hinter sich ließ, sprach er weiter: „Der Rottler hat mit Sicherheit auf der Hahnweide etwas vorgehabt, was niemand wissen durfte. Ja, es sieht alles danach aus, als sei sein plötzliches Abtauchen geplant gewesen. Er wäre praktisch über Nacht verschwunden und hinterher hätten alle gestaunt, was geschehen war.” Häberle erreichte wieder die Ortsdurchfahrt der B 10. „Seinen Tages-
ablauf”, dozierte er weiter, „den hatte er ja offenbar ganz normal geplant. Statt aber dann tatsächlich zu verschwinden, wie’s vorbereitet war – vermutlich, weil er wusste, dass die Steuerfahnder ihm dicht im Nacken saßen – ist er, warum auch immer, reumütig wieder zurückgekehrt. Das macht mich stutzig.”
Linkohr schaute seinen Chef von der Seite an. „Sie meinen wirklich”, er stockte, „Sie meinen wirklich, der wollte abhauen? Einfach so Hals über Kopf?”
„Ja, und zwar mit einer Tasche voller Geld und mit einer jungen Freundin.” Die Ampel an der Zufahrt zur B 10 stand auf Rot. Der Kommissar kniff die Augen zusammen und überlegte. Ihm kam plötzlich ein Gedanke. „Wenn das Geld ursprünglich für etwas ganz anderes vorgesehen war, nämlich für seinen auf elf Uhr geplanten Flug, wohin auch immer, dann wird mir klar, weshalb er die Geldtasche nach dem missglückten Abtauchen wieder ins Büro zurückgebracht und nicht daheim aufbewahrt hat.” Die Ampel sprang auf Grün und Häberle gab Gas. Er bog nach links in Richtung Göppingen ab.
„Ganz schön raffiniert”, kommentierte Linkohr und wagte hinzuzufügen: „Wenn’s denn so war …”
„Das war so, Herr Kollege”, zeigte sich Häberle überzeugt. „Der Rottler wollte mit der Pulvermüller, seinem heimlichen Verhältnis, das Weite suchen, jetzt natürlich auch unterm Druck der Steuerfahnder. Ganz schön stressig wahrscheinlich”, lächelte der Kommissar, als er den Mercedes aus Süßen hinaussteuerte, „aber auf diese Weise hätte er sich auch seines langjährigen Verhältnisses mit der Frau Steinke entledigen können. Er wollte, davon bin ich mir sicher, mit der Steinke-Firma nichts mehr zu tun haben und so schnell wie
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