Irrflug
nachdachte.
Steinke hatte ein ziemlich ungutes Gefühl. Er versuchte insgeheim, dafür den Temperatursturz der vergangenen Nacht verantwortlich zu machen. Seine Wetterfühligkeit hatte ihm schon oft zu schaffen gemacht. Außerdem war in ihm beim Frühstück wieder einmal der Verdacht aufgestiegen, seine Frau könnte ihn belügen. Auch wenn sie von dem gestrigen Waldspaziergang, den sie angeblich mit einer Freundin gemacht hatte, viel früher, als sonst zurückgekehrt war – schließlich hatte es ja auch ziemlich bald zu regnen begonnen –, so tauchten doch Zweifel in ihm auf. Dabei konnte er nicht einmal so genau sagen, warum. Vielleicht lag es daran, dass sich solche abendlichen ›Spaziergänge‹ in letzter Zeit gehäuft hatten. Doch dies konnte natürlich auch einen ganz simplen Hintergrund haben, redete er sich dann wieder ein. Schließlich war die Witterung geradezu ideal für ein Plauderstündchen zweier Frauen im Freien.
Er hasste es, mit Privatproblemen beladen, in die Firma zu gehen. Hier konnte er es sich nicht leisten, dass sich seine Gedanken ständig um eine Sache drehten, die ihn vom Wesentlichen, nämlich seinem Geschäft, ablenkten. Schon gar nicht, wenn ein Betriebsprüfer auf ihn wartete, der es überaus genau nahm. Steinke wies seine Sekretärin an, in jenes Zimmer, das dieser Erich Altmann von der Oberfinanzdirektion Stuttgart seit Monaten in Beschlag genommen hatte, Kaffee bringen zu lassen.
Wenig später trat er ohne anzuklopfen ein. Der Beamte, wie immer korrekt gekleidet, das dünne Haar ordentlich gekämmt, das Jackett über die Stuhllehne gehängt, erhob sich und schüttelte dem Firmenchef die Hand.
„Schön, dass Sie so schnell gekommen sind”, sagte Altmann und setzte sich wieder. Steinke nahm ihm gegenüber Platz. Durch ein geöffnetes Fenster kam die frische Morgenluft herein. Sie tat ihm gut. Er trug heute kein Jackett und hatte die Krawatte gelockert.
„Sie haben ja gesagt, es gäbe Wichtiges zu besprechen”, erwiderte der Firmenchef knapp und versuchte, seine Nervosität zu verbergen.
Altmann lehnte sich auf dem bequemen Bürosessel zurück und holte Luft. „Ich dachte, es ist besser, wenn wir beide dies unter vier Augen bereden. Zunächst jedenfalls.”
Sein Gegenüber schluckte und begann nervös mit den Fingern zu spielen, merkte es aber sogleich und verschränkte die Arme. „Ich hab’ Ihne ja schon g’sagt, dass Probleme dazu da sind, sie zu lösen”, entgegnete er.
„Seit unserem gestrigen Gespräch”, fuhr der Beamte fort und blätterte in einem schmalen Schnellhefter, „hat sich einiges Neues ergeben. Ich hatte Ihnen ja bereits gesagt, dass mir einige Ungereimtheiten und vor allem einige Bargeschäfte aufgefallen sind.” Er machte eine kurze Pause, während Steinke wie versteinert auf seinem Bürosessel saß. Dann fuhr er fort: „Sie werden verstehen, dass ich parallel zu Ihren Bemühungen, die aufgeworfenen Fragen durch Ihren Finanz-Chef beantworten zu lassen, ebenfalls gewisse Recherchen angestellt habe.”
„Des isch Ihr gutes Recht”, sagte Steinke und war entsetzt, wie trocken ihm der Mund geworden war.
Altmann ging auf diese Bemerkung nicht ein, sondern konzentrierte sich auf seine Notizen. „Demnach wurden in den vergangenen drei Jahren insgesamt vierzehn Mal größere Beträge abgehoben – von Ihrem Konto der Baden-Württembergischen Bank in Stuttgart. Und zwar handelt es sich um Beträge zwischen damals noch 900 000 Mark und zuletzt eins-komma-fünf Millionen Euro.” Altmann schlug seine Akte wieder zu. „Ist das nicht ein bisschen viel? Jedes Mal finden sich dazu zwar Belege, keine Frage, das scheint auf den ersten Blick ordnungsgemäß abgewickelt worden zu sein, doch leider sind die Empfänger immer irgendwelche Berater oder Gesellschaften, die ihren Sitz in Liechtenstein, Monaco und in der Schweiz haben. Ich sag’ Ihnen ehrlich, Herr Steinke, das hat mich stutzig gemacht.”
Steinke spürte plötzlich innere Unruhe. Er atmete tief durch und lehnte sich mit den Oberarmen auf den Schreibtisch, um energischer zu wirken. „Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, wie es dazu kommt”, begann er langsam auf Hochdeutsch, „was glauben Sie, wie in manchen Ländern Bakschisch notwendig ist, um an Aufträge zu kommen. Schmiergeld zu zahlen, ist soweit ich das weiß, im internationalen Geschäft doch gang und gäbe und auch nicht verboten. Natürlich geht man nicht her und überweist das einfach an den Geschäftsführer einer Firma, von der
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