Irrflug
sein würde: „Ich sag’ Ihnen ehrlich, welcher Verdacht da nahe liegt: Sie haben das Geld abgeschöpft und klammheimlich bar in ein Land transferiert, wo es vorm Zugriff der deutschen Finanzbehörden sicher ist. Im Klartext …” Er konnte nicht mehr weiterreden, weil, wie erwartet, Steinke wie ein Donnerwetter dazwischenfuhr: „Des isch eine Unverschämtheit, des isch eine gemeine Sauerei, eine Verleumdung. Wenn au nur ein Finanzbeamter des öffentlich behauptet, werdet mir mit allen Mitteln dafür sorga, dass er des nie mehr tun kann. Nie mehr.” Steinke war aufgesprungen wie eine Rakete, setzte sich aber schon wieder. Der Anwalt deutete mit einer Handbewegung an, dass es besser wäre, sachlich zu bleiben. „Es war nur ein rhetorischer Einwand”, erklärte der Jurist und fuhr fort: „Wer hat eigentlich die Vollmacht über dieses Bankkonto in Stuttgart? Sie beide oder beide zusammen?”
„Jeder Einzelne”, erklärte Steinke, der außer Atem gekommen schien.
„Jeder kann also mit seiner eigenen Unterschrift allein abheben?”, erkundigte sich der Anwalt genauer.
Die beiden Männer nickten.
23
Die Landschaft war eintöniger geworden, stellte Häberle fest. Nachdem sie die Albkante überflogen und die thermisch bedingten Turbulenzen hinter sich gebracht hatten, ließ Pilot Hauff die Cessna in eine Höhe von 5000 Fuß steigen. Hinter Reutlingen war der Himmel für sie frei, die Beschränkungen, die zum Schutze des Verkehrsflughafens Stuttgart-Echterdingen vorhanden sind, zurückgelassen. Nun umgab sie die gesamte Hochfläche der Alb. Häberle bedauerte es, keine Sonnenbrille dabei zu haben. Er musste die Augen zusammenkneifen, um im Licht der von rechts hereinscheinenden Sonne den weit gewordenen Horizont überblicken zu können. Das Blau des Himmels ging in den weißlichen Dunst über, der nur eine Sicht von 20 Kilometern zuließ. Genug für Sichtflieger, zu wenig für einen Passagier, der die Schönheiten des Fliegens genießen wollte. Vor ihnen, drei, vier Kilometer entfernt, lag die Cessna, die sie verfolgten, scheinbar bewegungslos in der Luft.
Die Distanz blieb gleich.
Der Pilot drehte am Funkgerät und stellte die Frequenz des Konstanzer Flugplatzes ein. Vermutlich hatte der Flugleiter von der Hahnweide, wie vereinbart, bereits telefonisch seinen Kollegen in Konstanz davon unterrichtet, was es mit den beiden Maschinen auf sich haben würde. Hauff hatte angeordnet, dass in Konstanz nach der Landung der ersten Cessna jeglicher anderer Luftverkehr, sofern es dort überhaupt einen gab, zurückgehalten werden musste, so dass die zweite ohne Funk-Anmeldung kommen konnte. Elvira Schneider, die erste Pilotin, hätte ansonsten noch beim Rollen zur Abstellfläche mithören können, dass ihr eine Maschine von der Hahnweide gefolgt war. Hauff hatte an alles gedacht.
August Häberle vertiefte sich in die Landschaft, die unter ihm vorbeizog. Er sah die vielen Straßen, die sich wie Schlangen über Hügel und durch Wälder schlängelten, erkannte an den hellen Dachziegeln die Neubaugebiete, die sich allein schon durch Architektur und Anordnung der Häuser von den Siedlungen der 60er-Jahren abhoben. Sie überflogen jetzt ein großes Waldgebiet, durch das sich eine breitere Straße zog.
Dann deutete der Pilot mit der rechten Hand durch die gewölbte Cockpit-Scheibe nach vorne: „Donautal”, sagte er mit kräftiger Stimme, um den Motorenlärm zu übertönen. Häberle sah hinter dem zurückweichenden Wald eine Ebene, auf der in der Ferne mehrere Wasserflächen im Sonnenlicht glitzerten. Erst beim zweiten Hinschauen erkannte er, dass etwas anderes gemeinte war, nämlich der schmale Flusslauf, den der Kriminalist nun rechts unter sich sah. Das war die noch recht junge Donau, die sich aus einer bizarren Felslandschaft am südlichen Rand der Alb entlang einen Weg gebahnt hatte. „Sigmaringen”, erklärte Hauff und deutete nach links. Der Kriminalist mühte sich ab, über den Piloten hinweg etwas zu erkennen, doch gelang es ihm nicht. Er verfolgte stattdessen wieder auf seiner Seite den Flusslauf der Donau stromaufwärts. Faszinierend, dachte er sich. Hier war er schon viele Male mit dem Fahrrad über beschauliche Wege gefahren. Von oben wirkte diese Landschaft noch atemberaubender. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, wie klein und unbedeutend doch die täglichen Probleme waren, so bald man nur ein paar hundert Meter über der Erdoberfläche schwebte und erkannte, welch großes Wunder diesen Planeten
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