Irrflug
entschied Hauff und deutete mit einer Handbewegung an, was er vorhatte: „Wir kreisen mit gewissem Abstand bei der Insel Reichenau.” Wie gut, dass er vor dem Start mit dem Flugleiter in Konstanz am Telefon auch unvorhergesehene Ereignisse durchgespielt hatte. Für den Fall nämlich, dass während Elvira Schneiders Landephase ein zweites Flugzeug auftauchen sollte, würde Hauff über ein vereinbartes Phantasie-Kennzeichen gerufen und gefragt, ob vor ihm noch die Landung einer anderen Maschine möglich sei. Damit hätte dann Häberle jederzeit entscheiden können, ob einem anderen Flugzeug der Vortritt gelassen werden sollte. Dieser Fall aber war jetzt nicht eingetreten. Die andere Maschine hatte sich bereits zur Landung angemeldet, noch ehe Elivra Schneider ihre Position durchgeben musste. Fünf Minuten vor Erreichen des Platzes.
Es dauerte aber nicht mehr lange. Dann ertönte auch die Stimme von Elvira Schneider aus dem Lautsprecher. Auch sie gab ihre Position, Flugzeugtyp, Herkunft, Höhe und Art des Fluges an und erfuhr die Landerichtung. Bei ihr fügte der Flugleiter noch hinzu: „Achten Sie auf eine vor Ihnen landende Cessna.”
Inzwischen hatten auch Hauff und Häberle den Bodensee bei Überlingen erreicht. Die Wasserfläche glitzerte unter ihnen. Entlang des Ufers erkannten sie Segelboote, die vor Anker lagen. Viele andere waren wie weiße Tupfer auf dem bläulich schimmernden See verteilt. Links vorne sah Häberle eine Fähre, die gerade in Konstanz losgefahren sein musste. Hauff deutete mit einer Handbewegung an, dass er weit nach rechts ausholen wolle, um die beiden Cessnas landen zu lassen.
Häberle genoss diese traumhafte Sicht auf den Obersee, der sich wie ein Finger in die Landschaft nach Westen hinzog. Hauff beobachtete aus dem linken Fenster des Cockpits offenbar die beiden in die Platzrunde eindrehenden Cessnas. Dann nahm er das Mikrofon zur Hand, drückte eine Taste und nannte das mit dem Flugleiter vereinbarte Phantasie-Kennzeichen, um hinzuzufügen: „Gehe in Position Richtung Reichenau, danach Ziellandung.” Der Flugleiter bestätigte. Damit wusste er, dass Hauff jetzt nur noch wartete, bis die beiden Frauen gelandet waren. Er steuerte das Sportflugzeug über die schmale Landzunge hinüber zum Untersee, in dem die Insel Reichenau lag. Deutlich erkannte Häberle die von Schilf und Pappeln umgebene Straße, die zu ihr hinüberführte.
Hauff drehte nun leicht nach links, um schräg unter sich den Flugplatz beobachten zu können, während auf der Seite seines Fluggastes die Insel Reichenau mit ihren unzähligen, in der Sonne spiegelnden Gewächshäusern der Gemüseproduzenten vorbeizog. Beim Blick aus dem vorderen Cockpit-Fenster glaubte der Kriminalist, jetzt auch die Konturen der Alpen zu erkennen. Der Dunst jedoch war viel zu dicht, als dass Details hätten zum Vorschein kommen können.
Hauff sah, wie die erste Cessna über das Konstanzer Gewerbegebiet auf die mit Gras bewachsene Piste zuschwebte. Die zweite drehte dort, wo der Untersee abzweigte, in den Queranflug. Das war okay, dachte sich Hauff und legte die Cessna nun in eine steile Linkskurve, was Häberle für einen Moment erschreckte. Ziemlich genau hinterm Flugplatz richtete der Pilot sie wieder auf und flog nun mit etwa dreihundert Meter Abstand parallel zur Piste auf Konstanz zu. Er zog die Vergaservorwärmung, nahm das Gas weg und setzte die Landeklappen auf die erste Stufe. Das Motorengeräusch veränderte sich, das Rauschen der Luft ebenso.
Inzwischen, das erkannte Hauff durchs linke Fenster, war die erste Cessna bereits ausgerollt und auf dem Weg zur Parkposition abseits des Towers. Die zweite schwebte über die Flachbauten des Gewerbegebiets auf die Piste zu. Die Maschine hatte jetzt jenen Punkt am Stadtrand erreicht, an dem Hauff erneut scharf links eindrehen musste – in den Queranflug. Er reduzierte die Geschwindigkeit, in dem er das Höhenruder leicht zog. Dann drückte er die Landeklappen-Taste in die nächste Stufe. Wieder änderte sich das Geräusch. Der Kommissar auf dem Nebensitz sah, wie sich am hinteren Teil der Tragfläche die Klappe weiter nach unten schob. Sie verloren zusehends an Höhe. Hauff leitete die letzte Linkskurve ein, die sie jetzt in Landerichtung brachte. Häberle erkannte die Graspiste, die von mehreren rot-weißen Platzreitern begrenzt war. Der Pilot zog das Gaspedal vollends ganz heraus und drückte noch einmal die Taste für die Landeklappen. Jetzt schien die Cessna wie ein Segelflugzeug
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