Irrflug
hervorgebracht haben musste. Ihm fielen die Worte des Wissenschaftsastronauten Dr. Ernst Messerschmid ein, der eine Zeit lang in Boll gewohnt hatte und einst mit der Challanger die Erde umrundet hatte: Dass die Erde so zerbrechlich und wertvoll aussehe und man deshalb alles daran setzen müsse, sie zu schützen. Häberle konnte allein schon beim Blick aufs Donautal diese Worte nachempfinden.
Dann traf ihn ein Ellbogen-Stoß des Piloten am linken Oberarm. Er erschrak. „Hier”, entfuhr es diesem und zeigte mit dem rechten Zeigefinger nach links vorne. Der Kriminalist konnte auf den ersten Blick gar nicht erkennen, was es war. Ein schwarzes Ungetüm, ziemlich groß, viel größer als die Cessna da vorne. Es hob sich vom dunstgeschwängerten Sommerblau des Horizonts deutlich ab – und es kam näher. Häberle spürte, wie sein Blutdruck stieg.
Die Männer standen unvermittelt an der Tür. Sie hatten nicht geklopft, sondern waren gleich eingetreten. Die junge Sekretärin, die eigentlich längst hatte Feierabend machen wollen, wären da nicht noch der Rechtsanwalt und Rottler bei ihrem Chef gewesen, erschrak und zeigte sich verwundert. „He”, sagte sie, „normalerweise klopft man hier an.”
Die vier Männer, drei jüngere und ein älterer, alle korrekt gekleidet, blieben vor ihrem Schreibtisch stehen. „Ist Herr Steinke da?”, fragte der ältere, der ein kurzärmeliges Hemd trug und dünnes, weißes Haar auf dem Kopf hatte.
„Wer sind Sie denn?”, wollte die Sekretärin wissen und fuhr mit ihrem Bürostuhl näher an den Schreibtisch heran.
Er zog einen Ausweis aus der Hosentasche. „Steuerfahndung Schwäbisch Gmünd”, sagte er knapp. Die junge Dame nahm den in Folie geschweißten Ausweis und las den Namen: „Herbert Kienzle.” Sie gab das Dokument wieder zurück und zögerte.
„Ist er da?”, fragte Kienzle, der sein rundliches braungebranntes Gesicht zu einem Lächeln verzog. Seine drei Begleiter wandten sich bereits der einzigen Tür zu, die es in dem Raum noch gab.
„Ich melde Sie an”, sagte die Sekretärin und wollte zum Telefon greifen.
„Nicht nötig”, sagte Kienzle, der eine besonders tiefe Stimme hatte. Er gab seinen Begleitern ein Zeichen, die daraufhin die schallgedämmte Tür in das Chef-Büro öffneten. Die Sekretärin drückte unterdessen hastig eine Taste am Telefon, doch es war zu spät, um Steinke zu warnen.
Schon als der erste Mann die Tür geöffnet hatte, verstummten die Gespräche in dem Chef-Büro. Für einen kurzen Moment war Steinke fassungslos. Rottler und Anwalt Fellhauer drehten sich irritiert um. Vor ihnen standen vier Männer. Die Haltung, die die Unbekannten einnahmen, war in gewisser Weise bedrohlich.
„Entschuldigen Sie bitte”, sagte Herbert Kienzle und zückte wieder seinen Ausweis. Steinke sprang auf und wollte etwas sagen, doch Kienzle schnitt ihm das Wort ab: „Steuerfahndung.” Er wartete einen Moment und deutete auf einen der drei anderen Männer, die mit ihm gekommen waren: „Das ist der Vertreter der Ortspolizeibehörde.”
Steinke blieb wie versteinert stehen. Schweigen. Der Anwalt klappte einen Ordner zu.
„Wir haben einen Durchsuchungsbefehl”, erklärte Kienzle und näherte sich dem Tisch, während sich seine Begleiter an der wieder geschlossenen Tür postierten.
Steinke ging energisch auf ihn zu. „Was habet Sie?”
Kienzle wusste, wie er in solchen Fällen handeln musste: Beruhigend. Nichts sagen, was die Lage eskalieren ließ. Er hatte Erfahrung mit derlei Situationen. „Meine beiden Kollegen und ich haben den Auftrag, Ihre Akten und Daten zu beschlagnahmen. Es besteht der dringende Verdacht der Steuerhinterziehung in mehrfacher Millionenhöhe.”
Für den Bruchteil einer Sekunde verharrte der Manager. Doch dann brach es wie ein Vulkan aus ihm heraus: „Des isch eine Unverschämtheit”, tobte er und kam gefährlich nah an Kienzle heran, der jedoch keinen Zentimeter zurückwich. Dafür waren seine beiden Begleiter und der Vertreter des Ordnungsamtes auf alles gefasst.
„Sie werdet gar nix”, schrie er, „gar nix werdet Sie. Sie hent wohl en Vogel”, jetzt war der Vorstandsvorsitzende nicht mehr zu bremsen, „Sie wisset wohl et, was Sie tun. Was glaubet Sie eigentlich, wen Sie vor sich hent? A kleine Klitsche oder was? A Hinterhof-Firma, an Geldwäscher oder was?” Rottler wagte sich nicht zu bewegen. Er kannte diese Ausbrüche. Wenn Steinke in Rage war, vergaß der ansonsten so seriös wirkende Geschäftsmann, den
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