Irrliebe
eine Zuneigung und zugleich der Hass auf Dominique. Vielleicht war der Zeitpunkt die Geburt ihres Planes, als sie erkannten, dass sie beide gleichermaßen einander mochten und die andere hassten, die sie zugleich – und dies durchaus mit gutem Gewissen – ausnutzen und berauben wollten. Sie wollten jenseits aller materiellen Motive die Frau fressen, die sie auslaugte.
»Sie haben auf Franziskas Anzeige geantwortet«, sagte Marie. »Was haben Sie ihr geschrieben?«
»Ich habe ihr vier Seiten geschrieben«, erinnerte sich Pierre. »Es war ein Feuerwerk der Gefühle. Ich habe ihr, die ich ja nicht kannte, und die sich in der Anzeige nicht beschrieb, das geschrieben, was ich Antje geschrieben hätte. Es waren gewaltige Worte voller Licht und Schatten, Zartheit und Gewalt, unbändiger Gier und tiefer Verlassenheit, unverblümt sexistisch, anrüchig, animalisch und widerlich, betörend und nah, besitzergreifend, verstoßend, ja beleidigend, dann wieder sanft wie ein lauer Wind.«
Er hielt inne und keuchte matt. Wie konnte ein Mensch wie Pierre Brossard in einem Satz so ein Feuerwerk versprühen? Er durchlebte diesen Rausch ein zweites Mal, ergötzte sich daran, Franziska mit dem Lasso seiner Lust eingefangen zu haben, die er in Gedanken an Antje orgiastisch durchlebt und aufs Papier geworfen hatte.
»Franziska ist eine Frau, die gefesselt werden will«, analysierte er kalt und redete von ihr, als lebe sie noch. »Sie ist ein Mensch, die sucht und andere an sich binden will. Aber das gelingt ihr nicht. Die Menschen entziehen sich ihr. Sie selbst kann nicht fesseln. Das Prinzip funktioniert nur umgekehrt: Man muss Franziska einfangen, sie festbinden, ihr den Weg weisen. Sie muss tun, was von ihr verlangt wird. Man muss ihr Grenzen zeigen und Horizonte öffnen. Sie ist voller Genuss orientierungslos, wird überrascht von Licht und Schatten, Gewalt und Liebe, ist ausgeliefert und geborgen in der Gewissheit, aufgefangen zu werden. Sie braucht einen Mann, der sie beherrscht. Lesen Sie ihre Anzeige. Man sieht das sofort.«
Pierre griff nach dem Glas auf dem Bettschrank und trank Wasser. Er hielt das Glas ruhig in der Hand, betrachtete die nur noch schwach aufsteigende Kohlensäure und gefiel sich in der Rolle, Marie die Wahrheit zu offenbaren und dies zugleich so schonungslos wie möglich zu tun. Er war zynisch und selbstzerstörerisch. Marie ahnte, wie er mit Franziska umgegangen war, sie beherrscht und mit simplen Mechanismen gegängelt hatte und Franziska ihm hörig geworden war. Und sie erinnerte sich daran, wie sehr sie selbst gegenüber Franziska versagt hatte und dies vielleicht nur deshalb, weil ihr nicht die Brutalität eines Pierre Brossard zu eigen war, der sich dieser nicht nur nicht schämte, sondern sie stolz zur Schau trug.
»Ich habe Franziska, die ich ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht namentlich kannte, in meinem Antwortbrief angewiesen, meinen Brief zu vernichten. Er sollte nicht körperlich irgendwo vorhanden, sondern die geschriebenen Worte sollten in ihrem Herzen eingebrannt sein. Manchmal bindet man Menschen viel besser an sich, wenn man ihnen etwas entzieht und noch mehr, wenn sie sich selbst davon trennen müssen.«
»Sie waren sich wohl sehr sicher«, sagte Marie mit verächtlichem Ton. Sie stand wieder auf, ging mit harten Schritten langsam durch das Krankenzimmer, warf den Kopf in den Nacken und tat, als müsse sie alles überdenken. Sie ließ sich Zeit, sah gelangweilt an die Decke, warf ihre Akte auf den Besuchertisch und schritt langsam auf und ab. Sie verschränkte die Arme, schien sich zu konzentrieren, blickte dann auf und stützte die Hände in die Hüften.
»Ich höre nichts«, herrschte sie ihn an.
»Sehr sicher«, antwortete Pierre ruhig. »Franziskas Anzeige roch danach. Wenn es nicht geklappt hätte, wäre das kein Problem gewesen. Ich hatte den Brief auf Antjes Computer in ihrer Wohnung geschrieben und danach gelöscht. Es gab auch keine eigenhändige Unterschrift. Das macht geheimnisvoll und vermeidet Spuren. Der Brief hatte sogar keine Fingerabdrücke«, sagte er stolz. »Ich habe weder ihn noch das Kuvert, in das ich ihn gesteckt habe, noch den weiteren Umschlag an den Verlag je mit bloßen Händen berührt.«
Marie lehnte sich im Stuhl zurück. Sie hörte aufmerksam zu, zeigte sich gespannt, überrascht und von seiner Raffinesse unauffällig angetan, ordnete sich nun dem Meister unter, der seine Kaltblütigkeit mit Worten zelebrierte.
»In dem Brief fehlte jeder Hinweis auf
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