Irrsinn
Material.
Während er geduldig daran arbeitete, sein Talent zu entfalten, hatte er in Zeitschriften bereits eine ganze Reihe Kurzgeschic h ten veröffentlicht. Sie waren gut aufgenommen worden, und als er fünfundzwanzig war, hatte ein großes Verlagshaus ihm angeboten, daraus ein Buch zu machen.
Die Sammlung hatte sich zwar nicht besonders gut verkauft, war jedoch positiv besprochen worden. Das ließ darauf hoffen, dass Billy seinen Lebensunterhalt nicht auf immer und ewig hauptsächlich hinter dem Tresen verdienen würde.
Als Barbara in Billys Leben trat, war das nicht nur eine Erm u tigung, sondern auch eine Inspiration gewesen. Einfach, indem er sie kannte und liebte, fand er in seiner Prosa zu einer wahr e ren, klareren Form.
Er schrieb seinen ersten Roman, und beim Verlag war man begeistert. Die von der Lektorin vorgeschlagenen Änderungen waren minimal. Sie hätten gerade einmal einen Monat in Anspruch genommen.
Dann versank Barbara im Koma.
Die klarere Stimme in seiner Prosa war nicht mit ihr unterg e gangen. Er konnte immer noch schreiben.
Allerdings entglitten ihm der Wunsch und der Wille, das zu tun. Er verlor jedes Interesse daran, Geschichten zu erzählen. Er wollte das menschliche Schicksal nicht mehr als Fiktion erforschen, weil er in der Realität allzu harte Erfahrungen damit gemacht hatte.
Zwei Jahre lang waren Verlag und Lektorin sehr geduldig, doch der eine Monat Arbeit an seinem Manuskript hatte sich ins Unendliche ausgedehnt. Er schaffte es einfach nicht. Deshalb zahlte er den Vorschuss zurück und machte den Vertrag rüc k gängig.
Den Computer einzuschalten kam ihm wie ein Betrug an Barbara vor, selbst wenn er es nur tat, um zu sehen, was der Mörder in Ralph Cottles Händen hinterlassen hatte. Da half es auch nichts, dass sie eine solche Denkweise missbilligt, wenn nicht gar verspottet hätte.
Er war ein wenig erstaunt, als der so lange unbenutzte Rechner sofort ansprang. Der Bildschirm wurde hell, und das Logo des Betriebssystems erschien, begleitet von den simulierten Harfe n tönen der Erkennungsmelodie.
Womöglich war der Computer doch vor kürzerer Zeit benutzt worden, als er gedacht hatte. Die Tatsache, dass die Diskette von derselben Marke stammte wie die unbenutzten Scheiben in einer der Schreibtischschubladen, ließ eigentlich nur einen Schluss zu: Sie gehörte Billy und war von dem Irren benutzt worden, als dieser an der Tastatur da seine letzte Botschaft verfasst hatte.
Seltsamerweise schauderte es Billy bei dieser Erkenntnis noch mehr als in dem Augenblick, in dem er die Leiche im Badezi m mer gefunden hatte.
Das lange nicht gesehene und doch vertraute Menü mit den Programmen erschien. Weil Billy seine Texte mit Word g e schrieben hatte, versuchte er das als Erstes.
Die Vermutung bestätigte sich. Der Mörder hatte dasselbe Programm verwendet, das sofort startete.
Auf der Diskette befanden sich drei Dateien. Noch bevor Billy eine davon öffnen konnte, läutete das Telefon.
Das musste der Mörder sein.
26
Billy nahm den Hörer ab. »Hallo?«
Es war doch nicht der Mörder. Eine Frauenstimme sagte: »Mit wem spreche ich?«
»Mit wem spreche ich denn? Sie haben angerufen!«
»Ach, Billy, ich erkenne deine Stimme. Hier spricht Rosalyn Chan.«
Rosalyn war eine Freundin von Lanny Olsen. Sie arbeitete für den Sheriff von Napa County. Ab und zu kam sie in die Kneipe.
Offenbar war Lannys Leiche entdeckt worden, bevor Billy eingefallen war, was er damit tun sollte.
In genau dem Augenblick, in dem er merkte, dass er nichts erwidert hatte, fragte Rosalyn misstrauisch: »Geht’s dir nicht gut?«
»Wieso? Nein, alles in Ordnung. Mir geht’s gut. Allerdings macht die Hitze mich ganz kirre.«
»Stimmt irgendetwas nicht?«
Das Bild von Cottles Leiche im Badezimmer blitzte in ihm auf, gefolgt von Schuldgefühlen, die ihm das Gehirn vernebe l ten. »Ob was nicht stimmt? Nein, nein. Wieso fragst du?«
»Hast du gerade hier angerufen und aufgelegt, ohne etwas zu sagen?«
Der Nebel wurde einen Moment dichter, um sich dann plöt z lich aufzulösen. Billy hatte tatsächlich vergessen gehabt, welchen Job Rosalyn bei der Polizei hatte. Sie nahm die Notrufe auf der Nummer neun-eins-eins entgegen.
Sobald sie den Hörer abnahm, erschienen Name und Adresse jedes Anrufers, der diese Nummer gewählt hatte, auf ihrem Bildschirm.
»Was? Ach so, war das gerade eben?«, fragte Billy, während er schnell nachdachte oder es zumindest versuchte. »Vor etwa einer Minute?«
»Vor
Weitere Kostenlose Bücher