Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
waren die Kölner erstaunlich duldsam: Selbst den Ersatz der traditionell männlichen Funkenmariechen und der »Jungfrau« durch echte Frauen nahmen sie 1938 hin. Die Partei wollte keinen Mann in Frauenkleidern mehr dulden, schließlich verfrachtete man Transvestiten und Homosexuelle ins KZ. Nach dem Krieg wurde nur die »Jungfrau« wieder von einem Mann dargestellt, die tanzenden Garnisonstöchter hingegen blieben biologisch weiblich – zum Ergötzen der männlichen Karnevalsgemeinde.
Immerhin erst 1937 aber konnte das bunte Treiben mit Hilfe des neu gegründeten »Bundes Deutscher Karneval« zur Gänze im Sinne des Regimes beeinflusst werden. Nunmehr wurde strikt darauf geachtet, dass die Jecken nicht etwa unter das »Heimtückegesetz« zu fallen drohten: Die kurz nach der Machtübernahme erlassene »Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der Nationalen Erhebung« sollte Schaden von Führer und Staat abwenden. Bei den Umzügen war strenge Rücksicht auf die Würde der staatlichen Institutionen und Würdenträger zu nehmen, NS-Uniformen durften auf Faschingsveranstaltungen nicht getragen werden – und vor allem hatten Regierungs- und Parteikritik zu unterbleiben. Erlaubt war hingegen alles, was den politischen Gegner im In- und Ausland durch den Schmutz zog. Und an diese staatstragenden Vorgaben hielten sich die Karnevalisten ganz überwiegend. Dass die unverfrorene Vereinnahmung des Karnevals durch die Nationalsozialisten keineswegs als eine Art feindlicher Übernahme betrachtet wurde, belegt insgesamt der ungeheure Aufschwung, den er in den Dreißigerjahren erlebte.
Eigentlich ist es nicht weiter verwunderlich, dass dieser gesellschaftliche Bereich nicht mehr Freiheitsbeharren an den Tag legte als alle anderen: Wie sich die Deutschen insgesamt mal widerwillig, mal enthusiastisch vom Regime und seiner Ideologie vereinnahmen ließen, setzten auch die deutschen Karnevalisten dem NS-Staat wenig Widerstand entgegen, ja sie ließen sich großenteils instrumentalisieren. Dem kam entgegen, dass sie von der »Zugewandtheit« des Regimes in nicht geringem Maße profitierten. Ohnehin dominierte längst der bürgerliche Mittelstand den deutschen Karnevalismus und prägte ihm seine duldende bis euphorische Haltung dem Regime gegenüber auf. Zudem hatten die Gewerbetreibenden der Karnevalshochburgen, die vom wachsenden Tourismus profitierten, wenig Probleme mit dem staatlichen Zugriff auf ein einstmals eher anarchisches Fest.
Spott und Häme der Karnevalisten erging nunmehr gegen als feindlich angesehene Nationen und deren Politiker, gegen die UNO-Vorläuferorganisation Völkerbund, aus der das Deutsche Reich 1933 mit viel Getöse ausgetreten war, gegen den vorgeblich degenerierten russischen Bären, den französischen »Erbfeind« und »Kriegstreiber« sowie die britische Kolonialmacht, gegen die angebliche jüdische Weltverschwörung im Allgemeinen oder als »jüdisch« identifizierte Politiker wie den New Yorker Bürgermeister LaGuardia im Besonderen. Die Juden im In- und Ausland wurden ganz allgemein zum beliebten Objekt von Büttenreden und Karikaturen, ganze Säle johlten antisemitische Gassenhauer, auf Umzugswagen wurden die »letzten Auswanderer« gen Palästina verunglimpfend verabschiedet. In Nürnberg gröhlte die Menge, als 1938 auf einem Wagen die Figur eines am Galgen baumelnden Juden vorbeigezogen wurde.
Immerhin: Vollständig gleichschalten ließen sich Narren und Jecken vom NS-Staat nicht. Widerstand durch Karneval stellte allerdings eine sehr vereinzelte Art der Opposition gegen das Regime dar. Es gab beispielsweise im gesamten Kölner Jeckenkreis in Karl Küpper nur einen einzigen unerschrockenen Karnevalisten, der 1939 denn auch mit lebenslangem Redeverbot bestraft wurde: weil er den Hitlergruß verhöhnte. Der Düsseldorfer Karneval kann sich eines Mannes rühmen, der nicht zuletzt aufgrund seiner Tätigkeit während der närrischen Tage von der Partei schlecht gelitten war und 1943 wegen defätistischer Äußerungen von Volksgerichtshofpräsident Freisler höchstselbst zum Tode verurteilt wurde. Mit solchen Kronzeugen versuchte der Karneval, sich nach dem Ende des NS-Regimes als möglichst nazifern darzustellen. In Köln kam begünstigend hinzu, dass der einst von den Nazis geschasste Oberbürgermeister und spätere Bundeskanzler Adenauer seiner Stadt den Freibrief ausstellte, weitgehend anständig geblieben zu sein. Man schwieg über das Schlimme und betonte das Wenige,
Weitere Kostenlose Bücher