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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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das Amt des Reichspräsidenten. In seinen Parteiämtern setzt er sich für eine enge Gefolgschaft zu Moskau und der Kommunistischen Internationale (Komintern) ein. Kurz nach dem Reichstagsbrand 1933 verhaftet, sitzt er zwölf Jahre in Einzelhaft in Berlin, Hannover und Bautzen, bevor er ins KZ Buchenwald kommt, wo er ein Jahr vor Kriegsende auf persönlichen Befehl Hitlers ermordet wird.
    Die offiziöse Sicht der DDR-Propaganda auf den populären Arbeiterführer bestand keineswegs nur darin, Elemente aus seinem Leben zu überhöhen, um über ein taugliches Vorbild für kommende Generationen zu verfügen. Damit man ein überzeugendes Heldenbild ohne Makel erhielt, wurde zudem nicht nur manches unterschlagen, sondern sogar glatt gefälscht. Das betrifft insbesondere Thälmanns Rolle im missratenen Hamburger Aufstand 1923. Voll revolutionärer Gesinnung hatte er bei Besuchen in Moskau die dortige KP-Führung und die Komintern in ihrer Hoffnung auf einen baldigen »roten Oktober« im von Reparationswirtschaft und Inflation schwer gebeutelten Deutschen Reich bestärkt. Die Sowjetunion hoffte auf Deutschland als nächstes schwaches Glied in der Kette fallender Regime, die Wirklichkeit jedoch entsprach diesem Wunschdenken ganz und gar nicht.
    Es ist schwer, in nicht revolutionärer Zeit Revolutionär sein zu wollen – Thälmann gehörte zu denen, die kurzerhand die Zeit zu einer revolutionären erklären. Wie Moskau gab er sich der Hoffnung hin, ein kommunistischer Umsturz in seinem Heimatland werde endlich die ersehnte Weltrevolution entfesseln. Eine deutschlandweite Erhebung wurde anberaumt, dann vertagt – und schließlich wegen mangelnder Erfolgaussichten abgesagt. In Hamburg jedoch begann dessen ungeachtet im Oktober 1923 der bewaffnete Aufstand und endete desaströs: Dilettantisch vorbereitet und unzureichend bewaffnet, dauerte er kaum einen Tag und brach am dritten Abend komplett zusammen. Auf die große Mehrheit der Hamburger Arbeiterschaft wirkte er eben nicht ansteckend – hatte aber Hunderte Menschen das Leben gekostet. Die Verantwortung dafür trug Ernst Thälmann. Er hatte vom Beschluss der KPD gewusst, die Revolution in Deutschland einstweilen doch noch nicht anzustoßen. Ihm aber, Revolutionär um jeden Preis, war der eigene Ruhm wichtiger als das Schicksal derer, die er zum Losschlagen anstachelte. Hätte er das Ohr so nah an der Arbeiterschaft gehabt, wie er selbst und die Legende behaupteten, hätte er die Sache noch rechtzeitig abblasen müssen, um Blutvergießen zu vermeiden. Stattdessen ließ er die wackeren Kämpfer im Glauben, die Arbeiter der anderen deutschen Städte würden ebenso losschlagen wie sie, was die Aussichten auf revolutionären Erfolg natürlich in bedeutend besserem Licht erscheinen ließ und daher unverzichtbar zur Motivation war.
    Die offizielle DDR-Legende stellte die Sachlage anders dar: Ihr zufolge wurden die Hamburger Genossen kalt erwischt, da sie von dem wichtigen Beschluss der KP-Führung gar keine Kenntnis erlangt hatten. Die DDR-Historiographie zeichnete überdies das Bild des unbeirrbaren Anführers, dessen Mut und Geschick es zu verdanken gewesen sei, dass ein heldenhafter Kern von 200 Männern trotz übermächtiger Polizei noch erfolgreich standhalten konnte, als der übrige Aufstand zu Ende war. Nur war Thälmann gar nicht der militärische Leiter des Aufstands, überhaupt nahm er bei den eigentlichen Kämpfen gar keine so zentrale Rolle ein, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft ihn explizit deswegen hätte verfolgen können. Für eine Anklage musste man sich mit anderen Vorwürfen behelfen.
    Mit Moskauer Hilfe wurde Thälmann 1925 Vorsitzender der KPD und sollte zu einem den großen russischen Kommunisten ebenbürtigen Führer aufgebaut werden. Man traute ihm mehr als den intellektuellen Kommunisten, die zu einem eigenen Kopf neigten und sich weniger gut von der Komintern-Zentrale aus lenken ließen. Ein echter Proletarier und moskautreuer Parteisoldat war das, was den Sowjetgenossen am besten schien, um in Deutschland den Boden für einen Umsturz zu bereiten. Für das DDR-Heldenbild bedeutete das, Thälmann als denjenigen Kommunistenführer zu stilisieren, der frühzeitig wusste, dass nur der Weg an der Seite Moskaus zum Erfolg führen konnte. Allerdings erwies sich die enge Bindung an Moskau und die Gleichsetzung von NSDAP und SPD, die Thälmann als Zwillinge bezeichnete, als Hauptgegner, als fatale Schwächung im Abwehrkampf gegen den

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