Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
Ährenkranz vereint; nicht kommunistischer Widerstand dagegen galt als minderwertig. Diese Sichtweise des »besseren Deutschland« lieferte zudem ein geeignetes Argument im ewigen Wettstreit der ungleichen Brüder, bei dem die DDR häufiger schlechter abschnitt. Aus heutiger Sicht erscheint diese Selbstdarstellung überaus durchsichtig, damals aber zeigte sie durchaus Wirkung, nicht zuletzt bei Kindern und Jugendlichen, die mit gut präparierten Geschichten über die Helden des antifaschistischen Widerstandes Idole an die Hand bekamen.
Die Ideologie des Antifaschismus wurde jedoch zu einem zunehmend erstarrten Ritual und zum argumentativen Reflex. In strenger ideologischer Sichtweise musste die Berliner Mauer die offizielle Bezeichnung »antifaschistischer Schutzwall« erhalten, weil sie die Existenz des Staatssozialismus vor westlicher Aggression schützte. Nur war der Bevölkerung durchaus bekannt, dass die Grenzanlagen klar darauf abzielten, dem eigenen Volk den Weg nach Westen zu verwehren. Zuvor war bereits der Aufstand des 17. Juni 1953 als »faschistische Provokation« erkannt worden. Wie erstarrt der Antifaschismus als Staatsideologie schließlich war, erwies sich in der Spätphase der DDR, als Neonazis im Land zwar verschwiegen, aber geduldet wurden – im ohnmächtigen Versuch zu ignorieren, was im antifaschistischen Modellstaat DDR mit seiner engagierten antifaschistischen Erziehung ja gar nicht hätte vorkommen dürfen.
Und doch werden die klare antifaschistische Haltung der DDR und ihr konsequenter Umgang mit Naziverbrechern bis heute als Aktivposten des DDR-Erbes verbucht. Aber wie war es um das Verhältnis zu den eigenen Altnazis bestellt? Entsprach er dem selbst erhobenen Anspruch, ein wahrhaft antifaschistischer Staat zu sein, der völlig neu anfing?
In der Tat brach die junge DDR zunächst radikaler mit der deutschen Vergangenheit, weil rigoroser als im Westen die Führungsschicht ausgetauscht und die Entnazifizierung durchgeführt wurde. Den Neubeginn verstand man in der Sowjetischen Besatzungszone als »antifaschistisch-demokratische Umwälzung«, die dem Aufbau eines Systems nach sowjetischem Vorbild diente. Die große Zahl rasch frei werdender Stellen ermöglichte den Aufstieg einer neuen Elite, in der allerdings die Exilanten aus Moskau gegenüber den im Land gebliebenen Widerstandskämpfern und den in westlichen Ländern Exilierten, die sich zu einem erheblichen Teil für die Rückkehr in den Osten entschieden, eine klare Führungsrolle reklamierten. Allerdings handhabte man Entnazifizierung und Enteignung nötigenfalls auch pragmatisch, etwa hinsichtlich der Enteignung von Großgrundbesitzern, die dem nicht kommunistischen Widerstand angehört hatten, oder bei der Rücknahme von NS-Enteignungen jüdischer Vermögen, wenn sich deren Besitzer als politisch nicht auf Linie erwiesen. In Internierungshaft gerieten auch nach 1945 Unschuldige, die der neuen Ordnung im Weg standen. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung bestand nicht nur darin, den Boden von Nazi-Altlasten zu befreien, sondern ihn so zu bestellen, dass dem Aufbau eines sozialistischen Staates nach sowjetischem Vorbild möglichst wenig entgegenstehen würde.
Wie im Westen auch erlahmte der Eifer der Entnazifizierung – im Osten war bald weniger von Bedeutung, wie es jemand mit den Nazis gehalten hatte, als vielmehr, wie loyal er sich nunmehr gegenüber dem neuen System zeigte. Das ist bei näherer Betrachtung nicht so weit entfernt von der Vorstellung in der Bundesrepublik, Altnazis könnten sich beim Wiederaufbau rehabilitieren. In der DDR wurde der Tatbestand der Nazi-Verstrickung überdies kreativ gehandhabt. So rigoros unmittelbar nach Kriegsende NSDAP-Mitglieder aus der Verwaltung entlassen wurden, so gleichgültig zeigte man sich bei offensichtlich überzogenen Maßnahmen, etwa wenn sich Beschuldigungen später als haltlos erwiesen. Dagegen wurde die große Zahl der ankommenden Flüchtlinge von der Entnazifizierung kaum erfasst, was vielen Altnazis den Neuanfang ermöglichte. Zudem ergaben Untersuchungen im Zuge der Archivöffnungen nach der Revolution von 1989, dass auch viele höhere Positionen von Menschen mit Nazivergangenheit bekleidet wurden, und zwar mit Wissen der Staatssicherheit. So war von den 1958 über die Einheitsliste der SED in die DDR-Volkskammer gewählten Abgeordneten jeder siebte ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, etwas höher war der Anteil von ehemaligen NSDAPlern unter den SED-Parteimitgliedern.
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