Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
Voraussetzung für den folgenden Aufschwung. Ab Herbst 1947 gewann die Produktion an Schwung – was den Menschen aber einstweilen nicht zugutekam, weil die Waren zunächst gehortet wurden und erst nach Einführung der D-Mark in die Läden kamen. Zum Mythos D-Mark und Wirtschaftswunder trug maßgeblich bei, dass sich im wahrsten Sinne des Wortes die Schaufenster über Nacht wieder füllten – ein Kalkül des späteren Wirtschaftsministers und Kanzlers der Bundesrepublik, Ludwig Erhard, damals Direktor des Wirtschaftsrats der Bizone.
Letzte, aber kaum weniger wichtige der hausgemachten Voraussetzungen für den Aufschwung waren schließlich die Währungsunion, die in den Westzonen 1948 durchgeführt wurde, denn mit der neuen Währung und freier Preisbildung erhielt die wirtschaftliche Entwicklung eine solide Basis, und die Einführung der sozialen Marktwirtschaft, die ebenfalls nicht »wie Manna vom Himmel fiel«, wie der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser betonte, sondern seit der Weltwirtschaftskrise 1929 als Reformkonzept entwickelt worden war. Damit und mit der Gründung der Bundesrepublik ging außerdem der staatliche bzw. alliierte Einfluss auf die Wirtschaft stark zurück. Jetzt gewann die Wirtschaft ihrerseits politischen Einfluss und konnte diesen für sich nutzen, schließlich hatte man gemeinsame Ziele: Stabilität und Wohlstand, und zog dafür an einem Strang. Überschätzt wird hingegen der Einfluss des Marshallplans als Initialzündung für den wirtschaftlichen Aufschwung. Von Volumen und Ausrichtung her konnte er gar nicht so kraftvoll wirken wie gemeinhin angenommen, zumal er erst richtig anlief, als die Konsolidierung im westlichen Nachkriegsdeutschland bereits ein gutes Stück vorangekommen war. Sein durchaus beachtliches Verdienst liegt eher im politischen und ideellen Bereich, nicht zuletzt durch seine wirtschaftsliberalen Vorgaben und als Voraussetzung der Gründung der Bundesrepublik im Juni 1949.
Anfang der Fünfzigerjahre spielten schließlich weltpolitische Entwicklungen bei der weiteren wirtschaftlichen Konsolidierung eine entscheidende Rolle. Die ideologische Spaltung der Welt im Kalten Krieg, in Deutschland spätestens seit der Berlinkrise und -blockade Bestandteil des Alltags, vertiefte sich durch den Koreakrieg (1950–53), als der kommunistische Norden sich das demokratische Südkorea einverleiben wollte, was sich zur Machtprobe zwischen den Supermächten USA und UdSSR auswuchs. In Deutschland wirkte der Konflikt in Ostasien ökonomisch segensreich: Mitte 1952 vollzog sich der Durchbruch zu einem sich selbst tragenden Wirtschaftsaufschwung, weil im Gefolge des Krieges der Export boomte und die westdeutsche Wirtschaft die Kapazitäten bereitstellen konnte, um davon zu profitieren. Ein Weiteres tat die Wiedergutmachungspolitik der Regierung Adenauer, da sie eine wichtige Voraussetzung dafür schuf, dass die Bundesrepublik in den Kreis international respektierter Staaten wieder Aufnahme fand – kein unerheblicher Standortvorteil für die Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft.
So nachhaltig der Boom sein mochte: Der vermeintlich dramatische Zuwachs bei den Produktionszahlen zu Anfang der Fünfzigerjahre ist ein weiterer Teil des Mythos Wirtschaftswunder, denn er geht auf statistisch unsaubere Befunde zurück. Sorgsam bereinigt, ergibt sich ein weniger drastisches Bild, denn die Produktionszahlen der westdeutschen Wirtschaft stiegen schon seit 1947 stetig, aber gleichmäßig. Und schließlich war der Wirtschaftsaufschwung keineswegs auf die besiegten Länder Westdeutschland und Österreich beschränkt, sondern ergriff in den Fünfzigerjahren den Großteil Westeuropas, das sich vom Zweiten Weltkrieg zunehmend erholte. Allerdings war die Bundesrepublik das erste der westeuropäischen Länder, in dem der Aufschwung spürbar wurde.
Ein Wunder ist etwas, das man nicht erklären kann, und genau so musste der schließlich einsetzende Aufschwung auf die meisten Beobachter wirken. Tatsächlich aber hatte das vermeintliche Wunder einen mehrjährigen Vorlauf und sogar einige ältere Wurzeln – und lässt sich lückenlos herleiten, mögen die Fachleute auch über manchen Einfluss streiten. Gleichwohl blieb der Begriff Wirtschaftswunder, Mitte der Fünfziger aufgekommen, in aller Munde, und der Mythos wirkte fort – selbst da, wo man erklärtermaßen ganz andere Wege ging: 1968 beispielsweise erschien in Ostberlin das Buch Wirtschaftswunder DDR , das den Nachweis zu erbringen
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