Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
mehrere Monate hinzog, in denen die Lücken in den Reihen der Armee anderweitig aufgefüllt werden mussten. Ein anderes, schneller wirksames Mittel lag also nicht zuletzt im Interesse des Militärs, das bekanntlich quer durch die Geschichte immer wieder wichtige Innovationen beförderte.
1941 wurde Penicillin in Oxford erstmals klinisch eingesetzt, 1943 begann die Behandlung von Syphilis-Patienten mit dem Wundermittel, die nicht nur sehr erfolgreich verlief, sondern innerhalb von maximal zwei Wochen beendet war. Natürlich blieb die Behandlung nicht auf das Militär beschränkt, sodass seit Ende der Vierzigerjahre in den Vereinigten Staaten die Infektionszahlen mit Syphiliserregern insgesamt signifikant sanken, bis ein Jahrzehnt später ein sehr niedriges Niveau erreicht wurde: Die Zahl der Infektionen war 1957 um 95 Prozent, die der Todesfälle um drei Viertel zurückgegangen. Abermals jedoch war der Jubel über den medizinischen Triumph keineswegs grenzenlos. Ein spanischer Arzt bemängelte noch 1961, durch Penicillin könne man ungestraft sündigen, weil es den Stachel der Sünde entferne, und bezog sich weiterhin höchst katholisch auf das Neue Testament, wo Paulus im Römerbrief vom Tod als »der Sünde Sold« spricht. Die überkommene Auffassung, Geschlechtskrankheiten seien eine Strafe für sündiges Handeln, besteht ja teilweise bis heute.
Parallel zur Behandlung von Syphilis veränderte sich das Sexualverhalten merklich, wie Forschungen gezeigt haben. Sie bezogen sich einstweilen nur auf die USA und standen vor dem Problem, dass die Datengrundlage schwierig war, weil es zum Sexualverhalten keine nutzbaren Erhebungen gab. Auch der berühmte Kinsey-Report , für den der Sexualforscher Alfred Kinsey, eigentlich promovierter Zoologe, 1948 und 1953 Tausende US-Amerikaner über ihre sexuellen Gewohnheiten ausfragte und mit den damals erstaunlichen Ergebnissen einen Skandal auslöste, bot wenig Hilfe, weil das Material aus einer nicht repräsentativen Erhebung stammte. Also wurde auf Umwegen ermittelt, ob sich das Sexualverhalten der US-Amerikaner schon vor der Zeit veränderte, die man gemeinhin als die der Sexuellen Revolution ansieht. Die Forscher nutzten statistische Daten der US-Gesundheitsbehören über Fälle, die mit dem Sexualverhalten in Zusammenhang stehen und deren Umfang auf Veränderungen hindeutet: die Zahl der Erkrankungen an Gonorrhoe, die Zahl unehelicher Geburten und die Zahl von Teenager-Schwangerschaften.
Es stellte sich heraus, dass im Untersuchungsraum dieser Studie die Fälle von Gonorrhoe seit 1957 stark zugenommen hatten. Bereits seit Mitte der Fünfzigerjahre wurde ein Anstieg der Zahl unehelicher Geburten verzeichnet, und auch die Zahl der Teenagerschwangerschaften schnellte seit Mitte der Fünfziger steil nach oben, und das dramatisch. Diese Zahlen legen nahe, dass lange vor dem Zeitraum, der im Allgemeinen mit der Sexuellen Revolution identifiziert wird, die US-Amerikaner sich zunehmend häufiger bei außerehelichem Sex vergnügten. Und da im gleichen Zeitraum die Syphilis ihren Schrecken verlor, weil seit den Vierzigerjahren die Todesrate infolge einer Erkrankung drastisch sank und die Ansteckungsrate schließlich 1957 auf ein Allzeittief fiel, ist der Zusammenhang beider Entwicklungen zwingend.
Die sogenannte Sexuelle Revolution kam also bereits mit der Syphilisbehandlung durch Penicillin ins Rollen und nicht erst mit der Einführung der Antibabypille. Die »Pille« trug aber durchaus weiter zur sexuellen Liberalisierung bei, sie verstärkte deren Entwicklung, weil sie durch abnehmende Risiken neue Freiheiten schuf. Und natürlich wurde die sexuelle Liberalisierung nicht allein durch medizinische Entwicklungen ausgelöst und gefördert, sondern ebenso von einem veränderten gesellschaftlichen Klima und einer neuen Offenheit im Umgang mit und im Reden über Sexualität. Dabei ist die Vorstellung einer »Revolution« im Zusammenhang mit Sexualverhalten, gerade im größeren Rahmen betrachtet, übrigens ziemlich umstritten. Es gab zu verschiedenen Zeiten immer wieder Veränderungen im Umgang mit Sexualität, die alle möglichen Ursachen haben konnten. Zudem ist Gegenstand von Debatten in der Fachwelt, ob solche Veränderungen nun revolutionären oder nicht eher evolutionären Charakters sind, ob sie plötzlich oder allmählich auftreten, ob auf lange Sicht die Entwicklung kontinuierlich verlief oder die Vorzeichen sich auch wieder änderten. Die Antibabypille ist also ein
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