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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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er dem Modell der internationalen Blockbildung und darin der sozialistischen Ideologie: Die Welt bestehe aus kapitalistischen, sozialistischen und Dritte-Welt-Staaten, zu denen er Chile zählte. Um diesen Kreis zu verlassen, müsse sich Chile aus der kapitalistischen Umklammerung befreien, die vor allem im Zugriff multinationaler Unternehmen auf die Rohstoffe des Landes bestand und die er als Hauptgrund für die chilenische Misere ansah. Allende trat in diplomatische Beziehungen zu allen bösen Buben unter den sozialistischen Staaten ein und versuchte, mit gleichgesinnten Regierungen des Kontinents ein Gegengewicht zum dominierenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss der USA zu schaffen. Gütliche Kompromisse mit Washington, insbesondere bei der Verstaatlichung von Branchen, in denen US-Firmen engagiert waren, ging er nicht ein, schon weil die radikalen Sozialisten das nicht zuließen.
    Das Scheitern der Regierung Allende hat viele Gründe: Zunächst fehlte dem Regierungschef die uneingeschränkte Unterstützung der eigenen Partei, was für einen Erfolg seiner ehrgeizigen und heiklen Agenda unverzichtbar war. Hinzu kam die Notwendigkeit, sechs Partner ohne parlamentarische Mehrheit bei der Stange zu halten, sowie nach einem vielversprechenden Start wachsende wirtschaftliche Probleme, die keineswegs nur hausgemacht waren. Und schließlich ermutigte die grundlegende politisch-gesellschaftliche Umgestaltung seine Widersacher zu kaum weniger radikalen Gegenmaßnahmen, in deren Folge das parlamentarische System erodierte. Ebenso nahm die Radikalisierung und Gewalt in der Bevölkerung zu, ob für oder gegen das sozialistische Experiment. Mit einem Fernfahrerstreik im Oktober 1972, der sich zur Arbeitsniederlegung von 600000 Arbeitern mit lähmenden Folgen für die Wirtschaft auswuchs, wurde die Situation in Chile immer prekärer. In ihrer Not beteiligte die Regierung das Militär an der Regierung, aber die Wirtschaft geriet weiter außer Kontrolle und die wenigen Versuche, zwischen den unversöhnlichen Gegnern in Politik und Bevölkerung zu vermitteln, fruchteten nicht. Schließlich entpuppte sich das Militär entgegen der Überzeugung der meisten Politiker als nicht verfassungstreu und putschte am 11. September 1973 gegen die Regierung Allende. Schlüsselfiguren des Putsches waren die Kommandeure von Kriegsmarine und Luftwaffe, zum Hauptnutznießer aber wurde der erst im Sommer neu ernannte Oberbefehlshaber des Heeres Augusto Pinochet, der Allendes Macht übernahm und bis 1990 Chile regierte – länger als jeder andere Diktator Lateinamerikas.
    Der Putsch verlief ungeheuer brutal, obwohl die Gefahr eines Bürgerkriegs gar nicht bestand, weil die Arbeiterschaft kaum bewaffnet war. Das aber sahen die Militärs anders, die politisch nicht weniger polarisiert waren als der Rest des Landes und es als ihre Mission betrachteten, dem Marxismus in Chile eine nachhaltige Niederlage zu bereiten. Eine solche Welle der Gewalt hatte das Land trotz einiger Erfahrung noch nicht gesehen, und sie mündete in ein brutales Regime. Tausende Unterstützer der Regierung Allende wurden im Nationalstadion von Santiago zusammengepfercht, Massenerschießungen, Folter und Scheinhinrichtungen folgten. In den Jahren der Pinochet-Diktatur wurden über 3000 Chilenen ermordet, Zehntausende inhaftiert und gefoltert, andere ins Exil gezwungen.
    Präsident Allende wurde am frühen Morgen des 11. September mit der telefonischen Nachricht geweckt, die Kriegsmarine habe den Hafen von Valparaíso besetzt. Keiner der Oberbefehlshaber war erreichbar. Allende begab sich mit den engsten Vertrauten in den Regierungspalast und versuchte, den Verteidigungsminister anzurufen, aber der war bereits von den Militärs festgesetzt worden. In einer Rundfunkerklärung weigerte er sich zurückzutreten. Angebote zur Flucht, ein Flugzeug stand bereit, schlug er aus. Panzer umstellten den Regierungspalast, dann griff, wie zuvor im Radio von den Putschisten angekündigt, die Luftwaffe das Gebäude an, kurz darauf Bodentruppen. Zu dieser Zeit waren beim Präsidenten zwei seiner Töchter, einige Minister, Allendes Leibarzt und sein Sekretär sowie seine Leibwächter und siebzehn Polizisten der präsidialen Schutztruppe.
    Über Telefon gab Allende seine letzte Erklärung ab, ein Maschinengewehr in der Hand und mit Stahlhelm auf dem Kopf. Die Putschisten stellten das Ultimatum, der Präsident müsse bis 11 Uhr aufgeben, sonst würde bombardiert, was pünktlich erfolgte.

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