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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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setzte gleich nach seinem Tod ein. Vor dem römischen Senat bezeichnete ihn der Konsul Gnaeus Sentius Saturninus zunächst als extremen Tyrannen – zum Befund der Geisteskrankheit war es da gleichwohl noch ein Stück Weges. Andere Zeitgenossen bemühten bereits den Begriff »Wahnsinn« oder »verwirrter Geist«, darunter der berühmte Philosoph Seneca, später auch der Historiker Tacitus. Diese Einschätzung bezog sich bei näherem Hinsehen aber nicht auf eine Geisteskrankheit, sondern diente – ähnlich wie heute – als Synonym für übersteigertes, verwerfliches Handeln, als politische Verurteilung also. Den Vorwurf des Wahnsinns im pathologischen Sinne hingegen erhob erstmals der Historiker Sueton fast 200 Jahre nach Caligulas Tod – und der ist auch in seinen anderen Kaiserbiographien nicht verlässlich und stets auf Pointen und Anekdoten aus, ohne sich allzu viel um deren Wahrheitsgehalt zu scheren. Jahrzehnte später taten es ihm die Geschichtsschreiber Cassius Dio und Flavius Josephus gleich. Und sie erreichten, dass Caligula noch viele Jahrhunderte später, zur Zeit des deutschen Kaiserreiches, als Verkörperung des »Caesarenwahnsinns« galt.
    Nicht alle modernen Historiker sind der schematischen Verteufelung Caligulas gefolgt, aber das Märchen vom unzurechnungsfähigen Psychopathen auf dem Thron ist noch immer lebendig. Dabei wurden all die Vorwürfe, die eine Geisteskrankheit belegen sollten, inzwischen akribisch widerlegt. Vor allem der Berliner Althistoriker Aloys Winterling hat in seiner Caligula-Biographie die fraglichen Punkte eingehend untersucht. Denn bei genauerer Betrachtung wird aus dem Wahnsinnskaiser zwar kein vorbildlicher Herrscher oder sympathischer Tugendbold – aber aus der Schwarzweißskizze eines Sueton wird ein differenziertes Porträt mit vielen Schattierungen.
    Caligulas eigentlicher Name lautet Gaius Iulius Caesar Germanicus, er war der Sohn des legendären Germanicus, der diesen Ehrennamen seinen (nach der Schmach im Jahre 9) siegreichen Feldzügen gegen die Germanen verdankte, und Agrippinas der Älteren, einer Enkelin des Augustus. Germanicus war ein Volksheld mit besten Aussichten, Kaiser zu werden, starb aber bereits im Jahr 19. Sieben Jahre zuvor, 12 n. Chr., in Antium geboren, war Caligula der erste römische Herrscher, der zu einer Zeit zur Welt kam, als Rom bereits vom ersten Kaiser Augustus regiert wurde. Er kannte also weder die Zeit der römischen Republik noch den verheerenden Bürgerkrieg aus eigener Erinnerung. Für ihn war Kaiserherrschaft eine Selbstverständlichkeit, und seine Anwartschaft darauf bestand von Geburt an. Seine ersten Lebensjahre waren die unbeschwerten eines kleinen Jungen in einer glamourösen Familie, die noch dazu viel in der Welt herumkommt. Hätte es schon die modernen Medien gegeben, der kleine Caligula wäre von Paparazzi umlagert worden, um ein gutes Motiv für das nächste Titelblatt abzugeben.
    Schon der Spitzname Caligula, Stiefelchen, verweist auf die Beliebtheit des Jungen, der im germanischen Feldlager, das sein Vater befehligte, die römischen Soldaten bespaßte. Das änderte sich schlagartig mit dem Tod des Vaters, denn damit wurde der kleine Junge allen Schutzes beraubt und mitten in die Intrigen und Gefahren der politischen Klasse katapultiert. Rom war ein überaus gefährliches Pflaster für ein Kind, das als künftiger Herrscher in Frage kam. Denn Caligulas Leben war bedroht, und auf eine klare Thronfolgeregelung konnte er nicht bauen, da die kaiserliche Großfamilie in zwei Lager gespalten war und seine eigene Familie Opfer einer Verschwörung wurde. Seine ehrgeizige Mutter, die einst selbst hatte Kaiserin werden wollen und nun im Sinne ihrer Kinder tätig war, sowie seine beiden älteren Brüder wurden von Tiberius in die Verbannung geschickt oder eingekerkert und umgebracht. Auch vorher dürfte Agrippina ihrem kleinen Sohn, in den sie alle ihre enttäuschten Ambitionen projizieren musste, kaum eine nur fürsorgliche und das Kindeswohl über alles andere stellende Mutter gewesen sein.
    Als nicht weniger dominant und problematisch gilt die Urgroßmutter Livia, einflussreiche Witwe des Augustus. Caligulas jugendliches Alter rettete ihm das Leben, aber bewahrte ihn nicht vor traumatischen Erlebnissen. Zu seinen überlebenden Schwestern, mit denen er aufgewachsen war, hatte er daher ein sehr inniges Verhältnis: zu seiner Lieblingsschwester Drusilla bis zu ihrem vorzeitigen Tod im Jahr 38, zu den beiden anderen, bis sie

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