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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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drängte es sie weiter. Nach Erkundungs- und Plünderungsfahrten von der südspanischen Küste aus beschloss König Geiserich 429, Spanien zu verlassen und nach Afrika überzusiedeln. Dieser Zug eines ganzen Volkes mitsamt Ausrüstung und Tausenden Pferden kommt einer logistischen Meisterleistung gleich, und eingeteilt in achtzig Tausendschaften verließen die Vandalen Europa. Darunter waren rund 15000 Krieger, die nunmehr auf unbekanntem Weg Nordafrika eroberten. Vermutlich überquerte man die Meerenge von Gibraltar und segelte sodann entlang der Mittelmeerküste Afrikas ostwärts – aber das bleiben bloße Vermutungen. Mitte des Jahres erreichten die Vandalen unter Führung Geiserichs mit römischen Schiffen ihr Ziel und eroberten dort trotz erheblichen Widerstands die Städte, darunter schließlich – niemand weiß, wie genau – auch Karthago, die wichtigste Metropole des südlichen Mittelmeerraums. Für Rom bedeutete der Verlust dieser Provinzen einen schweren Schlag, denn Nordafrika war die Kornkammer des Imperiums. Weil sich das Reich aber in einer Schwächephase – und rückblickend betrachtet längst im Untergang – befand, konnte es den germanischen Eroberern keinen ausreichenden Widerstand entgegensetzen. Eine diplomatische Lösung tat not, und so schlossen die Römer 442 einen Vertrag mit den Vandalen, die nicht nur den Kernbestand römischer Herrschaft in Nordafrika erhielten, nämlich Tunesien und den Osten Algeriens. Rom verzichtete zudem notgedrungen auf die sonst üblichen Tributzahlungen. Das Vandalenreich war damit nicht nur souverän geworden, sondern lag in Macht und Einfluss gleichauf mit den beiden Kaisern West- und Ostroms. Ein Jahrhundert lang behauptete sich das nordafrikanische Reich der Vandalen, bis es durch inneren Streit und aufgrund des Drucks, den Mauren und Oströmisches Reich ausübten, zerbrach.
    Das hundert Jahre bestehende Reich der Vandalen straft die Verwendung ihres Namens als Synonym für blinde Zerstörungswut Lügen. Keineswegs herrschten sie in Nordafrika so, wie der ihnen anhaftende Ruch vermuten ließe, im Gegenteil: Sie setzten sich sozusagen ins gemachte Nest, an das sie sich aber gekonnt anpassten, anstatt das Unterste zuoberst zu kehren. Die Kultur der römischen Provinz übernahmen sie ebenso wie deren Lebensstil. Sie gingen auf die Jagd, lernten die Badekultur ebenso zu schätzen wie die Esskultur und das feudale Wohnen in prachtvollen Villen, deren Grünanlagen von Gärtnern gepflegt wurden. Selbst ihre Toten bestatteten viele Vandalen auf hergebrachte römische Weise. Daneben beschäftigten sie die Künstler weiter, sodass man Zeugnisse ihrer Herrschaft über Nordafrika glatt für römischen Ursprungs halten könnte. Besonders eindrucksvoll erzählen erhaltene Grabmosaike aus vandalischer Zeit von der künstlerischen Blüte ihres Reiches. Auch Musik- und Theateraufführungen, aber auch Wagenrennen fanden weiterhin statt. Nahezu bruchlos knüpft daher die Kultur der Vandalen an die der Römer an, umgekehrt akzeptierten die eben noch römischen Bürger die neuen Herren trotz deren barbarischer Herkunft und religiösen Sektierertums des Arianismus, mochte es auch mehrmals zu Katholikenverfolgungen kommen. Gänzlich römisch werden wollten die Vandalen jedoch nicht – sie legten durchaus Wert auf ihre Herkunft.
    Wie aber wurden die Vandalen zum Inbegriff für Kulturlosigkeit und sinnlose Zerstörungswut? Nun, es ist immer eine Frage der Perspektive, zumal die Vandalen zu den Völkern gehören, deren Perspektive auf die Welt unbekannt ist, weil Quellen dafür fehlen. Also hat der fremde Blick das Bild der Vandalen in der Geschichte geprägt, und dieser fremde Blick ist zumeist parteiisch. Vor allem trug zum schlechten Leumund des germanischen Volkes ihr kurzer Romzug im Jahr 455 bei, als sie die stolze Hauptstadt des Römischen Reiches plünderten. Bloße Zerstörungswut war dabei allerdings nicht der Antrieb, sondern Kalkül: Man zerstörte wenig, raubte aber umso mehr, neben Kunstgütern anderes Wertvolles aus öffentlichen Gebäuden und den Villen reicher Stadtrömer. Anlass für die zweiwöchige Stippvisite war ein Abkommen mit dem römischen Kaiser Valentinian III., der seine inzwischen sechzehnjährige Tochter Eudocia noch als Kleinkind dem vandalischen Thronfolger als Ehefrau versprochen hatte. Nach der Ermordung des Kaisers aber wollte sein Nachfolger das Mädchen mit dem eigenen Sohn verheiraten, diesen Plan vereitelten jedoch die Vandalen durch

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