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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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über Routen, Handelsorte und Waren, aber auch über die Menschen und ihre Sitten, über Edelsteinvorkommen, obskure Religionen und die Vogelwelt, über köstliche Speisen und gute Weine, über Porzellan, über exotische Gewürze und Pflanzen, darunter Rhabarber und Ingwer, über Freudenhäuser und strenge Asketen. Einige Aspekte mussten Europäer, die eher beschwerliches Reisen gewohnt waren, beeindrucken, vor allem die vorbildliche Infrastruktur mit einem engen Netz an Pferdestationen und bequemen Gasthöfen. Ein leistungsfähiges Kuriersystem gewährleistete die schnelle Übermittlung von Nachrichten auch über große Distanzen. Es gab gepflasterte Straßen mit schattenspendenden Bäumen und steinernen Brücken. Auch die Vorsorge gegen Hungersnöte findet Marco Polo bemerkenswert, er beschreibt Armenspeisungen, die staatlichen Getreidespeicher für Notzeiten und die Regelung, bei Missernten Steuererlässe zu gewähren.
    Bloß: Kam Marco Polo überhaupt bis nach China? Oder hat er sich einfach das Nichtwissen seiner Leser zunutze gemacht? Tat er nur so, und zwar mittels geschicktem Einsatz der Informationen, die er auf seiner Reise zweifellos gewinnen konnte, aus erster Hand zu berichten, was er eigentlich aus zweiter Hand weitergab? Kann es also sein, dass Marco Polo zwar Persien erreichte, was sich nachweisen lässt, aber nicht die Mongolei, China, Südostasien?
    Solche Zweifel müssen erlaubt sein, wo Marco Polos Buch doch eine Menge Märchen enthält – eben die Vorstellungen, die sich das Mittelalter von China und Indien machte. Wenn der Venezianer doch selbst da war: Wieso korrigierte er diese Ammenmärchen nicht? Und was ist davon zu halten, dass ein so aufmerksamer Chinareisender kein Wort über den Tee verliert? Dass er auslässt, dass chinesischen Frauen die Füße eingebunden wurden, um sie dem Schönheitsideal entsprechend klein zu halten? Dass er die chinesische Schrift nicht erklärt oder den in Europa noch unbekannten Buchdruck? Und, vor allem, dass er nicht einmal die Chinesische Mauer erwähnt, immerhin das eindrucksvollste Bauwerk des riesigen Landes? Wieso vermerken ihn chinesische Quellen nicht, obwohl er behauptet, im Auftrag des Kubilai Khan dessen ausgedehntes Reich bereist zu haben? Er sei sogar drei Jahre lang Gouverneur der Stadt Yangzhou gewesen – wieso taucht er dann nicht in den Stadtakten auf und wie konnte er einen solchen Posten bekleiden, wo er doch nie Chinesisch lernte?
    Aber Marco Polo war tatsächlich in China. Dass er nicht jeden Ort und jedes Land, das er beschreibt, selbst besucht hat, sondern ältere Berichte weitergibt, stimmt zwar. Falsch ist aber die Annahme, er wäre nie weiter als Persien gekommen. Dafür dringt aus seinem Buch zu überzeugend seine Person hindurch – wäre das Ganze zusammengestottert aus zahllosen Berichten anderer, wäre es kaum so einheitlich geworden. Dass trotzdem in Marco Polos Longseller die fantastischen Vorstellungen seiner Zeitgenossen über das ferne Asien ihren Platz bekommen, hat weniger der Reisende zu verantworten als sein Schreiber. Im Gefängnis schrieb sein Mitgefangener Rustichello von Pisa nicht nur auf, was Marco diktierte, sondern ergänzte, was in seinen Augen fehlte – oder von dem er glaubte, dass es die europäischen Leser erwarten würden. Das Buch ist auch nie wirklich abgeschlossen worden – gut möglich also, dass Marco Polo bei genauerer Redaktion einige Zusätze seines Schreibers, der selbst als Verfasser von Ritterromanen reüssierte, gestrichen hätte. Manches wurde aber auch erst nach Marco Polos Tod hinzugefügt, darunter wohl die Behauptung, die Polos hätten den Mongolen ermöglicht, die Stadt Xiangyang mit einer Wurfschleuder zur Kapitulation zu zwingen. Dieser militärische Erfolg lag vor der Ankunft der Polos und die Schleudern stammten von den Persern.
    Einige der Personen, die Marco Polo benennt, lassen sich durch Quellen von anderer Seite bestätigen. Die Reisen im Auftrag des Khan sind zwar nicht zweifelsfrei nachzuweisen, aber durchaus wahrscheinlich – wenn auch nicht in offizieller Mission, aber ausgestattet mit Privilegien und Reiseerleichterungen und der Absicht, die Neugier und rasche Auffassungsgabe sowie den unbefangenen Blick des jungen Ausländers zur Informationsbeschaffung zu nutzen. Dass Marco Polo in chinesischen Quellen nicht auftaucht, ist kein Beweis für Schwindelei: Selbst ein hochrangiger päpstlicher Gesandter, der Mitte des 14. Jahrhunderts an den Hof eines Nachfolgers von

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