Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
Vom Netzwerk:
sozusagen wieder helle Wolle produzieren. Nur wenn das nicht gelang, musste das schwarze Schaf in Quarantäne oder, in allerletzter Konsequenz, auf die Schlachtbank.
    Die Häufung der Inquisitionsprozesse seit dem 12. Jahrhundert hat verschiedene Ursachen: Neben der stark zunehmenden Zahl abweichender Lehren war ein weiterer Faktor die Entschlossenheit der Kirche, ihre Autorität in Sachen Glauben und Glaubensausübung überall durchzusetzen. Die ewige Konkurrenz zwischen Papst und Kaiser trug dazu bei, dass Rom in Sachen Rechtgläubigkeit und Ketzerverfolgung das Heft in der Hand haben wollte. Hinzu kam die Überzeugung – in Kirche und Gesellschaft gleichermaßen –, Ketzerei sei für die Christenheit insgesamt schädlich, außerdem im Volk erhobene Forderungen nach Verfolgung der Ketzer. Von reiner Willkür kann dabei aber nicht die Rede sein: Der Inquisitionsprozess verlangte ein geordnetes Verfahren, das Verteidigungsmöglichkeiten vorsah und für eine Verurteilung klare Beweise verlangte: in der Regel entweder ein Geständnis oder zwei übereinstimmende Zeugenaussagen. Wenn das nicht genügte, um einen dringenden Verdacht auszuräumen oder zu bestätigen, setzte man gemäß geltendem Rechtsverständnis zur Wahrheitsfindung das Mittel der Folter ein. Auch dafür gab es Regeln: Folter sollte nur bei schweren Fällen der Uneinsichtigkeit zum Einsatz kommen, dabei durfte kein Blut fließen, außerdem durfte ihr ein Verdächtiger nur einmal unterzogen werden. Diese Regelungen erwiesen sich allerdings als Gummiparagraf: Mit einiger sadistischer Kreativität ließen sich auch ohne Blutvergießen grausame Torturen entwickeln, und die eigentlich einmalige Folter wurde zum Zwecke der Verlängerung eben nicht beendet, sondern nur unterbrochen.
    Waren in einer Region Ketzervorwürfe laut geworden, reisten im päpstlichen Auftrag die Inquisitoren an und forderten die Pfarrer auf, den Gläubigen ihre Ankunft mitzuteilen und ihnen nahezulegen, Anzeige zu erstatten, sollten sie von häretischem Treiben Kenntnis haben. Während einer Gnadenfrist bestand die Möglichkeit zur Selbstanzeige mit der Aussicht auf nachsichtige Behandlung. Zur Vernehmung konnte man auf bloße Verdächtigung hin gerufen werden. Kam es zu einem Verfahren, ging die Beweisaufnahme schriftlich vonstatten und das Verfahren verlief unter strenger Geheimhaltung. Die Beweise der Anklage wurden den Beschuldigten nicht zur Kenntnis gebracht, auch die Zeugen blieben geheim, was die Verteidigungsmöglichkeiten natürlich erheblich einschränkte.
    Die Strafen waren je nach Schwere des Befunds sehr unterschiedlich: Sie reichten von einfachen Bußhandlungen wie Fasten, zusätzliche Gottesdienstbesuche oder Gebete über Geißelung und die Auferlegung von Pilgerreisen bis zu Berufsverbot, Strafzahlung oder Enteignung. Das bei Weitem häufigste Urteil sah eine neue Form der Bestrafung vor, die gefürchtet war: das Tragen des großen gelben Büßerkreuzes. Da es jedem klarmachte, mit wem man es hier zu tun hatte, waren die sozialen Konsequenzen in einer, gelinde gesagt, robusten Gesellschaft enorm. Ebenfalls recht neu und gefürchtet waren die Haftstrafen. Stand aber die Todesstrafe an, wurden die Ketzer an den »weltlichen Arm« überstellt, denn die Kirche durfte weder Todesurteile fällen noch ausführen – eine eher unerhebliche Unterscheidung, da geistliche und weltliche Macht bei der Ketzerbekämpfung eng zusammenarbeiteten, denn nach beider Rechtsnormen stellte Ketzerei ein schweres Verbrechen dar. Den Abschluss des Verfahrens bildete ein großer Gottesdienst, mit dem sich die Gemeinde rituell reinigte und an dessen Ende die Urteile verlesen wurden, angefangen bei den geringsten Strafen. Die zum Tode Verurteilten wurden gleich im Anschluss verbrannt.
    Aber entgegen aller Behauptungen war die häufigste Strafe eben nicht der Scheiterhaufen; die überwältigende Mehrheit der Verurteilten kam glimpflicher davon. Die Gesamtzahl der zum Feuertod Verurteilten lässt sich wegen der schwierigen Quellenlage nicht mehr verlässlich bestimmen, doch nach seriösen Schätzungen war es ein Prozent der Angeklagten. Selbst in den Hochburgen der Ketzer kamen viele davon: Bei den Inquisitionsprozessen zum Beispiel, die von 1245 bis 1257 in Toulouse gegen die Katharer durchgeführt wurden, ergingen im Ganzen 306 Urteile. Davon lauteten 239 auf Gefängnisstrafen, aber nur 21 auf Scheiterhaufen. Auch der später in Toulouse tätige Inquisitor Bernard Gui schickte in den

Weitere Kostenlose Bücher