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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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verbreitete Meinung – aber entspricht dieses Bild den historischen Tatsachen?
    Um die Inquisition, die im Allgemeinen über einen Kamm geschoren wird, differenziert zu beurteilen, muss man zunächst auf ihre unterschiedlichen Formen eingehen: Es gab die päpstliche Inquisition des hohen und späten Mittelalters, die Inquisition in Spanien seit Ende des 15. Jahrhunderts sowie die römische Inquisition, die im 16. Jahrhundert unter dem Eindruck der Reformation in Italien, vor allem im Kirchenstaat, agierte und offiziell erst 1965 beendet wurde. Daneben gab es, vor allem in Deutschland wesentlich, die bischöfliche Inquisition und Ketzerprozesse durch weltliche Instanzen.
    Für den Ruf des Mittelalters ist also insbesondere die päpstliche Inquisition von Belang. Sie setzte im 13. Jahrhundert ein, als Rom Inquisitoren aussandte, um Glaubensabweichler auszumachen und vor Gericht zu stellen. Die Arbeit lag in den Händen des noch jungen Bettelordens der Dominikaner, die deshalb auch den verächtlichen Spitznamen domini canes erhielten, »die Hunde des Herrn«. Später traten die Franziskaner an ihre Seite. Zu den berühmtesten – oder besser: berüchtigtsten – Glaubensschnüfflern zählen Konrad von Marburg, gestrenger Beichtvater der heiligen Elisabeth und tatsächlich paranoider Ketzerverfolger in Deutschland, der Dominikaner Bernard Gui in Toulouse, der eins der Handbücher für Inquisitoren verfasste und durch Umberto Ecos Roman Der Name der Rose zweifelhafte Bekanntheit erlangte, und dessen Ordensbruder Petrus von Verona, lange Jahre in Italien tätig. Dass zwei von diesen drei ermordet wurden, zeigt, wie gefährlich der Job als Bluthund sein konnte. Mit wenigen Ausnahmen waren in allen Ländern der Westkirche Inquisitoren tätig, nur Skandinavien, England und das spanische Kastilien waren nicht betroffen. Allerdings, und schon das widerspricht dem Ruch des totalen Kirchenkriegs gegen die Ketzer, war das Netz der Inquisition keineswegs lückenlos.
    Die katholische Kirche ist die wohl älteste noch funktionierende Institution der Welt. Seit nunmehr zwei Jahrtausenden pflegt sie das Erbe des Religionsstifters Jesus Christus und unterhält eine komplexe Hierarchie mit der römischen Kurie als Zentrum und dem jeweiligen Nachfolger des heiligen Petrus als Oberhaupt. Über die Jahrhunderte musste sich die Kirche vieler Anfeindungen und Anfechtungen erwehren und mehrmals einem erheblichen Reformdruck Genüge tun. Immer wieder hatte Rom Mühe, seine Autorität durchzusetzen, und unterlag zum Beispiel bei der Abspaltung der orthodoxen Kirche oder in der Reformation. Daneben gab es immer wieder religiöse Graswurzelbewegungen und Abweichungen von der herrschenden Lehrmeinung, die man mal aufzufangen versuchte, mal entschieden bekämpfte. Unter Ketzerei oder Häresie verstand die Kirche jede willentliche und absichtliche Abweichung von der wahren christlichen Lehre der Bibel – über die das Papsttum die Deutungshoheit beanspruchte.
    Je mehr Menschen sich von der offiziellen Lehrmeinung abwandten, desto schwieriger wurde die bisherige Strategie der Überzeugung durch Worte und der regional sehr unterschiedlichen Vorgehensweise. Romtreue Christen schufen immer öfter auf eigene Faust Abhilfe – selbst ernannte Inquisitoren schlugen über die Stränge, Übergriffe und Lynchjustiz erregter Massen nahmen zu, ebenso die Beschwerden. Auf solche Weise war Anfang des 13. Jahrhunderts der Albigenserkreuzzug gegen die südfranzösischen Katharer aus dem Ruder gelaufen. Um gegen Ketzer künftig wirksam, aber geregelt vorzugehen, entwickelte Rom das Inquisitionsverfahren: dem juristischen Standard und dem allgemeinen Drang der Zeit nach geordneter Strafverfolgung entsprechend. Mit höchstem Auftrag der Kurie ausgestattet, sollten geschulte Männer, über vierzig Jahre alt und ohne Lokalbindung an Volk oder Regionalkirche, Ketzer ausfindig machen. Schon der Aufwand, den die Kirche betrieb, belegt das Motiv, die Abtrünnigen zurückzugewinnen – hätte man unterschiedslos und ausschließlich strafen wollen, wäre eine einfache Feststellung der Schuld und die Übergabe an weltliche Gerichte ausreichend gewesen. Das Augenmerk lag aber darauf, die Gemeinden zu reinigen, denn, so die kirchliche Vorstellung, ein schwarzes Schaf färbte leicht auf die gesamte Herde ab. Diese Reinigung bedeutete keineswegs, die als schwarz identifizierten Schafe auszurotten; vielmehr sollten sie durch echte Reue eine innere Heilung erfahren und

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