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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Peters zeigte sich zudem, wie sehr diese langfristige Entwicklung mit dem Großmachtstreben des Zarenreiches zusammenhing, das sich unter Katharina der Großen voll entfalten sollte. Ohne eine gewisse Annäherung an die Vorbild-Großmächte Frankreich, England und Österreich, später auch Preußen, konnte Russland nicht in die Oberliga europäischer Staaten vorstoßen. Machtpolitik im europäischen Staatensystem aber ist noch nicht gleichbedeutend mit der Verwestlichung eines östlichen Landes.
    Bei näherer Betrachtung ist dieser machtpolitische Sprung zwar gelungen, ansonsten aber hat sich in Russland unter Peter dem Großen sehr viel weniger verändert, als der Glanz von Sankt Petersburg und das in der verklärenden Geschichtsschreibung andauernde Image Peters als westwärts orientiert vermitteln. Das hat zum einen damit zu tun, dass der ungeduldige Zar die Reformen hektisch, unkoordiniert und situativ anging, wie es seinem ungestümen Naturell entsprach – mit dem Ergebnis, dass viele Neuerungen nicht von Dauer, weil nicht substanziell genug waren. Grundlegende Reformen verlangen einen langen Atem und einen gleichzeitigen Mentalitätswechsel, der aber weder bei Peter selbst noch bei seiner Verwaltung zu beobachten war, ganz zu schweigen vom Volk, das vom Westen nicht den Schimmer einer Ahnung besaß. Ohnehin mangelte es für einen grundsätzlichen Wandel am notwendigen, westlich ausgebildeten Personal in ausreichender Zahl. Insgesamt erwiesen sich die Reformen als zu wenig vorbereitet und daher unvollständig und nicht grundlegend, zudem überhastet umgesetzt und oft brachial durchgesetzt, was die notwendige Mentalitätsänderung nicht gerade beförderte. Außerdem betrafen die Reformen keineswegs das gesamte Reich, sondern nur Teile seines riesigen Gebietes. Die meiste Kraft verwandte der Zar auf die Aspekte, die Russlands Rolle als zukünftige Großmacht dienen würden, also Militär und Wirtschaft. Das Land insgesamt blieb rückständig, vor allem gesellschaftlich, das Leistungsprinzip war kaum durchsetzbar, der westliche Einfluss beschränkte sich auf die obersten Kreise. Eine städtische Bürgerschaft, die den Reformprozess hätte mittragen und nach unten weitergeben können, gab es weiterhin nicht.
    Vor allem aber hätte, was die Verfassungsstruktur des Landes betraf, eine strenge Orientierung auf den Westen dessen Herrschaftsmodell übernehmen müssen, in dem der Monarch kein Autokrat war, sondern ständische Gremien bei den Geschicken des Landes mitzureden hatten. Die Zeit Peters des Großen war zwar in Westeuropa die des Absolutismus, der aber erwies sich in Wirklichkeit als gar nicht so absolut, während der Zar weitgehend autokratisch und ohne ständische Beteiligung regierte, mochte er auch diesbezüglich Reformen anstrengen. Unter Peter dem Großen blieb der Widerspruch zwischen Modernisierung einerseits und dem Beharren auf einer autokratischen Herrschaft andererseits ungelöst – für den englischen Parlamentarismus hatte er sich in London nicht sonderlich interessiert. In Russland galt weiterhin, dass das Land nur eisern absolutistisch regiert werden konnte. Wann immer sich Protest regte, reagierte auch Peter mit größtmöglicher Brutalität. Auch blieb es bei der berüchtigten russischen Leibeigenschaft der Bauern, deren Belastungen unter ihm sogar noch stiegen. Nicht einmal der Adel konnte nennenswerte Verbesserungen in Sachen Eigenständigkeit verbuchen, sondern verblieb in direkter Abhängigkeit vom Zaren, nicht viel anders stand es mit der Kirche. Peter führte sein Land an den Kreis der europäischen Großmächte heran und stieß Modernisierungen an, aber nachhaltig nach Westen rückte Russland deswegen nicht.
    Dass Russland keineswegs nur noch westwärts blickte, erweist sich auch an seiner Asienpolitik. Denn das Zarenreich wuchs nicht nur gen Westen, sondern ebenso nach Osten – was allerdings den europäischen Augen damals wie heute entging. In Asien setzte Peter die expansive Politik seiner Vorgänger fort und schob die Grenzen des Russischen Reiches weit nach Sibirien vor.
    Nicht zuletzt blieb Peter bei aller Westorientierung und Faszination durch Europa ein durch und durch russisch geprägter Herrscher, der auch ganz persönlich eher ein klassisch autokratischer Despot war und seine Vorstellungen mit aller Härte rücksichtslos durchsetzte. Einen Aufstand der Strelizen, eine mitunter aufmüpfige Berufsarmee, schlug er 1698 nicht nur unerbittlich nieder, er exerzierte gar ein

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