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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Karl XII. in Nordeuropa ein Ende setzen wollten, suchte der Zar einen Standort für seine Gründung aus, im Mündungsdelta der Newa. Eben erst hatte man das Gebiet den Schweden abgenommen und damit endlich den ersehnten Zugang zur Ostsee erlangt. Nunmehr ging es darum, einen starken Vorposten zu errichten, der künftigen Angriffen der Schweden etwas entgegensetzen konnte. Vermutlich schwebte Peter von Anfang an mehr vor als bloß ein militärischer Stützpunkt, jedenfalls taufte er die Stadt nach seinem Namenspatron, dem Apostel Petrus.
    Als Erstes ging man daran, auf der Haseninsel in der Newa die Peter-Paul-Festung zu errichten. Um die Gründung Sankt Petersburgs am Dreifaltigkeitstag 1703 ranken sich allerlei hübsche Legenden, während der Bau der Stadt von eher hässlicher Mühsal geprägt war: Nicht nur gründet sie auf morastigem Grund, die Gegend begünstigte außerdem Seuchen, die unter den abkommandierten Leibeigenen grassierten, abgezehrt und erbarmungslos ausgebeutet, wie sie waren. Unerbittlich aber trieb Peter die Arbeiten voran, für die das ganze große Reich herangezogen wurde, sei es für Arbeitskräfte, Geld oder Versorgungslieferungen. Niemand weiß, wie viele Menschenleben die große Vision des Zaren kostete, der russische Volksmund bezeichnet die Stadt als auf Knochen gebaut. Ebenso ist nicht bekannt, wann genau Peter auf die Idee verfiel, die russische Hauptstadt hierher zu verlegen, aber bereits 1712, noch während des Krieges gegen Schweden, löste Sankt Petersburg Moskau als Hauptstadt ab – bis nach der Oktoberrevolution die Bolschewisten der Stadt an der Moskwa diesen Status zurückgaben. In der ersten Regierungszeit Wladimir Putins, ein gebürtiger Petersburger mit entsprechender Hausmacht dort, wurden gelegentlich Gerüchte laut, der Präsident plane einen abermaligen Hauptstadtumzug zugunsten seiner Heimatstadt.
    Sankt Petersburg wird gern als schlagender Beweis angeführt für Zar Peters Bestreben, sein Land dem Westen anzunähern – nicht nur geographisch, sondern insgesamt und grundlegend. Das rückständige Russland sollte zu den europäischen Großmächten aufschließen, sogar um eine Abkehr von der altrussisch-orthodox-klerikalen Prägung des Moskowiterreiches sei es ihm gegangen. In der Tat war der Umzug an die Newa ein kalkulierter Bruch mit der russischen Tradition, wurden Architekten und Künstler aus dem Westen beauftragt, um der Stadt den rechten Glanz zu verleihen. Bei Hofe galt nunmehr europäische Etikette, westliche Kleidung wurde vorgeschrieben und mit langen Bärten durften sich fortan nur noch Bauern und die Geistlichkeit zieren.
    Zar Peter wollte sein Land modernisieren, und auf einer damals großes Aufsehen erregenden, weil beispiellosen Reise, die ihn 1697/98 über das noch schwedische Baltikum, Preußen, Österreich bis in die Niederlande und nach England führte, war er bestrebt, Erfahrungen zu sammeln, die er zu Hause würde nutzen können. Darunter fielen neben kulturellen Eindrücken beispielsweise auch Informationen über das westeuropäische Wirtschaftssystem des Merkantilismus. Nach westlichem Vorbild wurden Struktur- und Verwaltungsreformen durch- und der julianische (wenn auch nicht der gregorianische) Kalender eingeführt, der Zar förderte den Handel mit dem Ausland und den Aufbau von Manufakturen ebenso wie Bildung und Forschung, und er modernisierte sein Militär. Aber war Peters Verwestlichung so grundlegend, weitreichend und nachhaltig, wie es seine Entschlossenheit und sein hemdsärmeliger Tatendrang nahelegen? Und wie weit war der Zar darin überhaupt gewillt zu gehen?
    Der russische Nationaldichter Puschkin schrieb ein Jahrhundert nach Peter dem Großen in einem Gedicht, mit der Gründung Sankt Petersburg sei das Fenster zum Westen aufgestoßen worden – was später ein Moskauer Historiker mit der Aussage konterte, das Scheunentor Nowgorod, die alte Handelsstadt östlich von Sankt Petersburg, habe schon mehr als ein halbes Jahrhundert vorher offen gestanden. Und abgesehen von dieser Tatsache war die Annäherung Russlands an das System europäischer Staaten längst im Gange, bevor Peter der Große den Thron bestieg. Der Weg nach Westen begann, das mittelalterliche Nowgorod einmal außer Acht gelassen, Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Aufstieg nach langer Krise und der territorialen Westausdehnung; zu Lasten Polen-Litauens fielen das Smolensker Gebiet und, weiter südlich, die Ostukraine mitsamt Kiew an Russland. Unter den Nachfolgern

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