Irrweg Grundeinkommen
vermittelten Deckung der Grundbedürfnisse der anderen Menschen. Die Idee, durch das Grundeinkommen wären die Menschen derart motiviert, dass sie mit ihrer frei gewählten Tätigkeit gerade die Dinge produzieren, die gebraucht werden und die daher über den Markt absetzbar sind, beziehungsweise dass sie genau das nachfragen, was andere herzustellen Lust verspüren, ist eine Illusion. Bereits heute, im System bedingter Hilfe, stellen sich viele Menschen aus den einkommensschwächeren Schichten die Frage, ob sich Erwerbsarbeit überhaupt noch lohnt. Wie viel drängender dürfte diese Frage dann in einem System bedingungslosen Grundeinkommens gestellt werden? Und wie viel häufiger wird sie dann – und zwar völlig zu Recht – dahingehend beantwortet werden, dass es sich eben nicht lohnt, einer Erwerbsarbeit nachzugehen?
Um es an einem Beispiel konkret auszudrücken: Wer geht schon gern anderer Leute Wohnung putzen, wenn er von dem geringen, zusätzlich zum bedingungslosen Grundeinkommen erworbenen Lohn kaum besser leben kann als vom bedingungslosenGrundeinkommen allein, dafür aber weniger Freizeit hat oder zumindest weniger Zeit, Arbeiten für sich selbst zu erledigen? Fällt die schiere Not weg – das ist das angestrebte und, rein normativ betrachtet, durchaus begrüßenswerte Ziel des Grundeinkommens –, bleibt als Motivation für unangenehme oder schwere Erwerbsarbeit in der Regel nur die Höhe der Bezahlung.
Diesen Ausweg gibt es aber schon heute ohne grundlegende Umstellung des Steuer- und Transfersystems: Man muss und kann die Menschen für ihre Tätigkeit so bezahlen, dass sie von ihrer Hände Arbeit vernünftig leben können, und zwar deutlich besser leben können, als es das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum erlaubt. Probate Mittel dafür sind ein angemessener Mindestlohn und eine niedrige Grenzabgabenbelastung im unteren Einkommensbereich. Dazu weiter unten mehr.
Die Anreizsituation in einem Grundeinkommenssystem auf Seiten der Arbeitnehmer ist einfach: Je großzügiger das bedingungslose Grundeinkommen bemessen ist, desto weniger lohnt es sich, für geringe Stundenlöhne arbeiten zu gehen, vor allem wenn die Arbeit schwer, schmutzig oder subjektiv wenig befriedigend ist. Mit der Erwerbsarbeit verbundene positive Effekte wie Selbstachtung, soziale Kontakte, das Gefühl, gebraucht zu werden und dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen, stehen dem zwar entgegen. Aber es spricht nichts dafür, dass diese positiven Wirkungen der Erwerbsarbeit durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens auf einmal verstärkt auftreten, also mehr als bereits jetzt. Das Argument, diese Art von Arbeitsmotivation nähme dank Grundeinkommen zu, weil die Menschen ja gerade der Arbeit nachgehen könnten, die sie gern verrichteten, übersieht das Problem, dass es genau um solche Arbeiten geht, die die meisten Menschen weniger gern leisten und für die sie deshalb wenigstens »anständig« bezahlt werden wollen.
Um es drastisch auszudrücken: Ein geschmackvolles Stoffdesign zu entwerfen oder ein leckeres Fünf-Gänge-Menü zu kochen bereiten wohl vielen Menschen mehr Vergnügen, als ein verstopftes Abflussrohr zu reinigen oder einen Demenzkranken zu füttern.Dennoch werden auch die beiden zuletzt genannten Tätigkeiten gebraucht und kann sie in einer arbeitsteiligen Welt nicht jeder selbst erledigen, sei es, weil sich der einzelne nicht dazu eignet und das notwendige Know-how nicht hat, sei es, weil er eine andere Spezialisierung hat (er ist zum Beispiel Hausarzt), die brachliegen zu lassen zugunsten der genannten Tätigkeiten äußerst ineffizient wäre. Daraus folgt, dass man in einem Grundeinkommenssystem für »unbeliebte«, aber notwendige Arbeiten nur dann Arbeitskräfte findet, wenn man sie gut bezahlt. Bei einfachen Arbeiten heißt das, dass sie mit deutlichem Abstand zum Grundeinkommensniveau entlohnt werden müssen, sonst ist niemand zu diesen Arbeiten bereit.
Sofern das Grundeinkommensniveau spürbar über dem Existenzminimum liegt, müssen diese Arbeiten also vergleichsweise teuer bezahlt werden. Dann ist man wieder bei der Frage, warum man diese Lohnverbesserung nicht auch ohne Grundeinkommenssystem hätte einführen können (dazu weiter unten). Bewegt sich das Grundeinkommensniveau in der Nähe des Existenzminimums und unterscheidet es sich von der derzeitigen Regelung nur durch die Bedingungslosigkeit, dann ist der Druck, »unbeliebte« einfache Arbeiten relativ hoch zu entlohnen, um
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