Irrweg Grundeinkommen
Mindestlohns steige, so dass die entsprechenden Jobs gefährdet seien, klingt einleuchtend, ist aber dennoch nicht stichhaltig. Das Argument sinkender Nachfrage bei steigendem Produktpreis gilt nämlich grundsätzlich für fast jedes Produkt, egal mit welcher Art von Arbeit es hergestellt wird. 27 Hat man es dank hoher allgemeiner Arbeitslosigkeit erst einmal dazu kommen lassen, dass die Löhne der Geringqualifizierten kaum noch existenzsichernd sind und daher Lohnsubventionen in welcher Form auch immer vom Staat gezahlt werden müssen, ist es natürlich einfach, von Arbeitgeberseite mit dem Wegfall der entsprechenden Stellen zu drohen, sobald man Überlegungen zur Beseitigung der Lohnsubvention anstellt. Denn wer suggeriert, das Absenken der Löhne der Geringqualifizierten verringere ihre Arbeitsmarktprobleme, kann umgekehrt bequem argumentieren, die Lage verschärfe sich weiter, sollte man die Löhne wieder anheben. Der Vorwurf, die Lohnsenkung habe die Arbeitsmarktprobleme der Geringqualifizierten offensichtlich nicht gelöst, sondern womöglich verschlimmert, wird entweder ignoriert oder mit den allgemein schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu entkräften versucht. Laufe es auf dem Arbeitsmarkt generell nicht so gut, könne man eben nicht erwarten, dass die am schlechtesten Qualifizierten das nicht besonders zu spüren bekämen. Oder, noch infamer, die Lohnsenkung sei noch nicht weit genug gegangen, um Erfolge zu zeitigen.
Weitere Schwächen der Mindestlohnkritik
Doch es lohnt sich, die oben beschriebene betriebswirtschaftlich anmutende Argumentation der Kritiker des Mindestlohns noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie enthält drei weitere Schwachstellen: zum einen die, dass die Messbarkeit der Produktivität einer einzelnen Tätigkeit als möglich angesehen wird; zum anderen, dass diese Produktivität als in Geldeinheiten bezifferbar angenommen wird; und drittens, dass der simple einzelwirtschaftliche Marktmechanismus – »die Nachfrage fällt mit steigendem Preis, das Angebot steigt mit steigendem Preis« – auf einen relativ großen Markt, nämlich den Arbeitsmarkt für alle Geringqualifizierten und Arbeitsuchenden, übertragen wird. Alle drei Schwachstellen sind so eklatant, dass man die Kritik am Mindestlohn als haltlos zurückweisen kann und muss, ohne in ersterLinie auf normative Gründe zugunsten des Mindestlohns angewiesen zu sein, die es selbstverständlich auch gibt. 28
Zur ersten Schwachstelle: Wie hoch ist die Produktivität eines Autoreifens in Hinblick auf die Fahrleistung eines Pkw? Und wie hoch ist sie im Vergleich zur Produktivität des Lenkrads oder der Bremse des Fahrzeugs? Diese Fragen klingen nicht nur unsinnig, sie sind es auch, weil klar ist, dass ein Auto ohne Reifen ebenso wenig fährt wie eines ohne Lenkrad oder Bremse. Daher kann nur das Gesamtprodukt »Fahrleistung des Autos« bestimmt und zum Beispiel mit der Fahrleistung eines anderen Automodells verglichen, nicht aber einzelnen Teilen zugeordnet werden. Genauso unsinnig ist es zu fragen, wie viel die geputzten Böden im Büroturm der Bank x zum Abschluss des Kreditvertrags zwischen dieser Bank und dem mittelständischen Unternehmer y beigetragen haben. 29 Diese Art »Produktivität« müsste man aber bestimmen können, wenn man wie die Gegner des Mindestlohns behauptet, der Arbeitsplatz der dort tätigen Reinigungskraft sei durch einen so und so hohen Mindestlohn gefährdet. Man kann vermuten, dass der Unternehmer y den Kreditvertrag mit der Bank x nicht abgeschlossen hätte, wenn er zunächst über Müllberge hätte steigen müssen, um das Büro eines Kundenberaters in der Kreditabteilung zu erreichen. Insofern gehört die Leistung der Reinigungskraft zum Unternehmenserfolg der Bank auf jeden Fall dazu. Aber wie viel genau ihr davon zusteht und wie viel im Vergleich dazu etwa dem Kundenberater, das lässt sich so einfach nicht bestimmen. Also ist auch die Aussage, die Produktivität des Arbeitsplatzes der Reinigungskraft könne den und den Mindestlohn nicht »tragen«, aus der Luft gegriffen. Nur das Marktergebnis der Bank insgesamt ist feststellbar, zu dem alle ihre Angestellten – von der Reinigungskraft über den Kundenberater bis hin zum Vorstandsvorsitzenden – beigetragen haben. Deren Entlohnung zusammengenommen darf nicht so hoch sein, dass das Endprodukt der Bank nicht mehr wettbewerbsfähig ist gegenüber der Konkurrenz. Über die Aufteilung der Einnahmen aus dem Verkauf des Endprodukts sowohl
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