Irrweg Grundeinkommen
zwischen der Kapitalseite und derArbeitnehmerseite als auch zwischen den Arbeitnehmern untereinander besagt das jedoch noch nichts.
Produktivität in Geldeinheiten?
Mit dieser Überlegung hängt auch die zweite Schwachstelle der Argumentation der Mindestlohngegner zusammen: die Messung der Produktivität einer einzelnen Tätigkeit in Geldeinheiten. Hierzu ein Beispiel: Produktivität in einem Stahlwerk etwa lässt sich in pro Stunde produzierten Tonnen Stahl messen. Durch Investitionen mit technischen Neuerungen in Verbindung mit der entsprechenden Schulung der Arbeiter, die die neuen Maschinen bedienen, kann die Produktivität gesteigert werden. Wie viel diese Produktivitätssteigerung allerdings wert ist in Geldeinheiten, hängt ganz wesentlich von der Nachfrage nach Stahl ab. Geht die Nachfrage zurück, kann trotz gestiegener Stundenproduktivität und höherer Qualifikation der Arbeiter der Preis für eine Tonne Stahl gesunken sein. Niemand käme jedoch auf die Idee, die Produktivität der Arbeiter nach der Investition als geringer zu bezeichnen im Vergleich zu vorher. Das heißt, dass eine in Geldeinheiten (statt in Tonnen) ausgedrückte Produktivität der Arbeiter keine rein technische Größe ist, sondern von der Marktlage abhängt, also vom Angebot anderer Firmen und der Nachfrage nach dem hergestellten Gut.
Wer nun behauptet, der und der Arbeitsplatz eines geringqualifizierten und schlechtbezahlten Arbeitnehmers fiele mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weg, sobald ein Mindestlohn eingeführt werde, der oberhalb dieses niedrigen Lohnes läge, weil die Produktivität des Arbeitnehmers im Vergleich zum Mindestlohn zu gering sei, der erweckt den Eindruck, nur einen sozusagen technischen Zusammenhang aufzuzeigen. Das ist aber keineswegs der Fall; es geht vielmehr wesentlich um die Situation am Markt, und die ist eben nicht allein von der Art des Arbeitsplatzes und der Qualifikation der Arbeitskraft abhängig. Würden sich etwa in einer konjunkturellen Boomphase die Arbeitgeber um alle, sogar die geringqualifizierten Arbeitskräfte reißen, dann würden sie sich gegenseitigmit höheren Lohnangeboten die Arbeitskräfte wegzuschnappen versuchen. Auch in diesem Fall hätte der Lohn nichts mit der Produktivität der Arbeitskräfte beziehungsweise die Lohnsteigerung nichts mit einer Steigerung von deren Produktivität zu tun, sondern lediglich etwas mit der Situation am Markt. Für eine Rezessionsphase gilt umgekehrt das Gleiche.
Knappheit bestimmt den Lohn
Es kommt also, kurz gesagt, auf die Knappheit von Arbeitskräften an bei ihrer Entlohnung, nicht auf ihre Produktivität. Knappheit ist ein relatives Konzept, Produktivität ein absolutes. Die Produktivität spielt zwar für die Knappheit eine Rolle. Aber während die Produktivität von der Qualifizierung der Arbeitskraft, ihrer Leistungsbereitschaft und der (Kapital-)Ausstattung ihres Arbeitsplatzes bestimmt wird, also von Faktoren, die der Arbeitnehmer und sein Unternehmen selbst kontrollieren können, hängt die Knappheit der Arbeitskraft zum Beispiel von dem Vorhandensein anderer Arbeitskräfte mit der gleichen oder einer höheren Qualifikation, von der Gesamtnachfrage in der Volkswirtschaft und etwa der Nachfrage des Auslands ab, also von Faktoren, die außerhalb des Kontrollbereichs des Arbeitnehmers und seines Unternehmens liegen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Er zeigt, dass die schwierige Lage von Geringverdienern nicht diesen Menschen allein angelastet werden kann. Daher kann auch nicht von ihnen allein die Anpassungsleistung erwartet werden, die zu einer Verbesserung ihrer Situation führt.
Nun erklären sich Neoliberale mit der Knappheit als Bestimmungsfaktor für Löhne allerdings vollkommen einverstanden (nachdem man ihr Argument des rein technischen Zusammenhangs zwischen Produktivität und Mindestlöhnen widerlegt hat). Es seien offenbar zu viele Geringqualifizierte vorhanden im Vergleich zum entsprechenden Jobangebot, daher müsse ihr Lohn so lange fallen, bis alle eine Stelle bekommen hätten. Könne man von solchen Löhnen nicht leben, habe eben der Staat beziehungsweise der Steuerzahler für die Erfüllung der grundgesetzlichenGarantie des Existenzminimums zu sorgen, nicht die Unternehmen.
Doch ist das ein stichhaltiges Argument gegen den Mindestlohn? Billiglöhne reflektieren in erster Linie eine Knappheitssituation zuungunsten Geringqualifizierter. Sie hat wesentlich mit der Marktmacht der Stellenanbieter zu tun, die
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