Irrweg Grundeinkommen
drehen. Im Jahr 2001 verwandelte sich der defizitäre Leistungsbilanzsaldo in eine rote Null, um im folgenden Jahr auf plus zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zuzulegen. Was dann folgte, stellt die »Erfolgs«geschichte der Handelsüberschüsseder 1980er Jahre in den Schatten: Der Saldo kletterte innerhalb der folgenden vier Jahre auf sage und schreibe 7,5 Prozent der Wirtschaftskraft. Zwar hinterließ die Finanzkrise 2009 ihre deutlichen Spuren beim deutschen Export. Doch der Leistungsbilanzsaldo konnte aufgrund rückläufiger Importe ein Niveau oberhalb von vier Prozent – dem Spitzenwert aus den 1980er Jahren – halten. Aktuell legen Ex- wie Importe wieder zu, und zwar in einem Verhältnis, das auch 2012 Überschüsse im Bereich von mehr als sechs Prozent des BIP beziehungsweise von über 166 Milliarden Euro erwarten lässt (vgl. die Prognose der Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2012, S. 26).
Abbildung 15: Fünfzig Jahre deutscher Außenhandel
Quelle: AMECO Datenbank (Stand Mai 2012); Werte 2012: Prognose der EU-Kommission
Wie ist die Entwicklung des deutschen Außenhandels sowohl in dieser letzten Dekade als auch in den 1980er Jahren zu erklären? Sind hohe Nettoexporte nicht nur begrüßenswerter Lückenbüßer für inländischen Nachfragemangel, sondern stehen sie in ursächlichem Zusammenhang mit diesem Nachfragemangel, genau genommen, mit der Lohnzurückhaltung? Und wenn ja, zeigt sich darin etwa die Kehrseite einer Medaille, deren Gesamtwirkung für den deutschen Arbeitsmarkt mehr als zweifelhaft ist? Undmuss darüber hinaus ein im Vergleich zu den 1980er Jahren noch viel umfassenderes und gefährlicheres Scheitern der Strategie der Lohnzurückhaltung im Rahmen einer Währungsunion konstatiert werden, weil das Wechselkursventil, das in den 1980er Jahren innerhalb des Europäischen Währungssystems (EWS) als Notlösung in Spannungsfällen zur Verfügung stand, heute fehlt?
Der Außenhandel und die Preise
Um diese Fragen beantworten zu können, muss zunächst geklärt werden, warum sich das Ausland in die Rolle des Nachfragestifters für Deutschland begeben hat. Ein Land ist kein denkendes Wesen, vielmehr setzen sich die makroökonomischen Ströme, unter ihnen auch die Handelsströme mit dem Ausland, aus den einzelwirtschaftlichen Handlungen vieler Wirtschaftssubjekte zusammen. Und die verhalten sich in einer Marktwirtschaft im allgemeinen rational, was vor allem die Orientierung an den Preisen betrifft. Unter Berücksichtigung der Qualität wird vorzugsweise von den benötigten Dingen das gekauft, was preiswerter ist als die Konkurrenzprodukte. Über Ländergrenzen hinweg spielt dabei normalerweise der Wechselkurs zwischen den Währungen der handeltreibenden Länder eine wichtige Rolle, weil er die jeweiligen inländischen Preise in die Preise des ausländischen Nachfragers und Konkurrenten sozusagen übersetzt. Innerhalb einer Währungsunion entfällt dieser Faktor – die Preise sind direkt miteinander vergleichbar, da sie in derselben Währung notiert werden.
Nur beim Einstieg in eine Währungsunion muss einmal festgelegt werden, wie das Umrechnungsverhältnis der bisherigen Währungen in die neue Gemeinschaftswährung sein soll. Dafür ist die unterschiedliche Kapitalstockausstattung der Länder entscheidend, da sie Unterschiede in der Produktivität der Länder bedingt. Damit die Länder bei gleicher Währung dauerhaft miteinander Handel treiben können, muss ein durchschnittlicher Warenkorb bei Einführung der Gemeinschaftswährung in allen teilnehmenden Ländern unabhängig von ihrer Produktivität gleichteuer sein, sprich: die Preis niveaus müssen identisch sein (nicht die einzelnen Preise). Würden die Einstiegskurse nicht nach diesem Prinzip festgelegt, sondern kämen Länder quasi zu billig, also mit unterbewerteter Währung in die Union, und andere Länder entsprechend zu teuer, das heißt überbewertet, dann hätten die Anbieter aus den unterbewerteten Ländern einen unberechtigten Startvorteil gegenüber ihrer ausländischen Konkurrenz und die Verbraucher einen Nachteil, weil Importe systematisch überteuert wären. Dass die Preisniveaus gleich sein müssen, bedeutet übrigens nicht, dass die Menschen in allen Ländern ungefähr das Gleiche verdienen. Ganz im Gegenteil: In Ländern mit hoher Produktivität sind auch die durchschnittlichen Stundenlöhne höher und umgekehrt. Für den gleichen Warenkorb muss daher in einem weniger produktiven Land entsprechend länger gearbeitet werden
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