Irrweg Grundeinkommen
die im »Vereinigungsboom« mündeten. Als Gegenposten schlug ein exorbitanter Anstieg der Staatsverschuldung zu Buche, durch den sich die Finanzpolitik in den folgenden Jahren in ihrem Aktionsradius erheblich eingeschränkt fühlte. Hinzu kam, dass die Finanzpolitik versuchte, die Eintrittskriterien für den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu erfüllen.
Doch inzwischen war der Druck der Interessenverbände, die Steuerentlastungen forderten, enorm gestiegen, und Schritt für Schritt wurde die von den Interessenverbänden geforderte radikale Änderung des Steuersystems umgesetzt. Die Vermögensteuer und die Kapitalverkehrssteuer wurden abgeschafft, womit die »ertragsunabhängigen« und damit nach herrschender Meinung besonders investitionsfeindlichen Steuern weitgehend eliminiert waren. Auf die Schwankungsanfälligkeit oder gar das Wachstum der Investitionen hatte dies jedoch keinen positiven Einfluss.
Es war jedoch erst die rot-grüne Regierung, die in den Jahren 2000 bis 2005 diesem Druck in einem Umfang nachgab, der alle bisherigen Steuersenkungen in den Schatten stellte. Zugleich wurden beträchtliche Ausgabenkürzungen auf den Weg gebracht, um die Steuerentlastungen zu »finanzieren«. Ein Verzicht auf Ausgabenkürzungen wäre, so wurde von der Regierung argumentiert, von den Finanzmarktteilnehmern als Ausdruck unsolider Finanzpolitik wahrgenommen worden mit der Folge, dass das Ausfallrisiko für Staatsanleihen auf den Märkten höher gewichtet worden wäre und die Kapitalmarktzinsen gestiegen wären. Was scheinbar paradox aussieht – Rot-Grün folgt der neoklassischneoliberalen Agenda in größerem Maße als neoliberale Politiker –, hat doch seine Konsequenz. Die SPD, aber auch die Grünenhaben nie verstanden, dass in dem Augenblick, wo sie der herrschenden Lehre in den Wirtschaftswissenschaften in dem Glauben folgen, dass der Arbeitsmarkt ein normaler Markt ist, keine wirtschaftspolitische Variante mehr zur Verfügung steht, die einen Sozialabbau und massive Umverteilung von unten nach oben verhindern könnte. Der Wahlkampfslogan »sozial ist, was Arbeit schafft«, der sogar von Teilen der SPD verwendet wurde, bringt das wunderbar auf den Punkt. Wer glaubt, dass sinkende Löhne oder Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer die Beschäftigung belebt, hat jede politische Auseinandersetzung um das Soziale bereits verloren, bevor sie überhaupt begonnen hat.
Die Hoffnung auf mehr Wirtschaftswachstum erfüllte sich jedoch zunächst nicht. Das Wachstum in den Jahren 2001 bis 2004 war äußerst bescheiden, vor allem weil sich, wie wir oben gezeigt haben, die privaten Konsumausgaben bei stagnierenden Masseneinkommen nur schwach entwickelten. Die Steuersenkungen begünstigten primär die höheren Einkommensschichten mit hoher Sparquote, wodurch ein bedeutsamer Teil der Entlastungen nicht konsumiert, sondern gespart wurde. Die Unternehmensteuerreform zeigte ebenfalls keine Wirkung, die unternehmerischen Investitionen waren rückläufig, weil die verhaltene Wirtschaftsentwicklung keinen Anreiz für zusätzliche Investitionen in Realkapital bot. Die Finanzierungsdefizite des Staates wurden nicht kleiner, sondern größer, so dass sich die Politik veranlasst sah, erneut auf die Ausgabenbremse zu treten.
Erst 2005 besserte sich die Lage scheinbar. Die vom Export und von der überragenden Wettbewerbsfähigkeit in der Euro-Zone getriebene Gewinnexplosion der deutschen Unternehmen sowie ein aufgestauter Modernisierungsbedarf gaben der privaten Investitionstätigkeit endlich Impulse. Im Zuge des Konjunkturaufschwungs verbesserte sich die staatliche Finanzierungssituation rasch. Allerdings währte die Aufschwungphase nur kurz, löste doch die Finanzmarktkrise im Jahre 2008 eine neue Wirtschaftskrise aus, die den Staat forderte, auf Expansion umzuschalten und den Abbau der Defizite vorübergehend zurückzustellen.
Dieser abrupte Kurswechsel trug erheblich dazu bei, dass die Wirtschaft schon 2010 wieder Tritt fasste. Um so mehr verwundert, dass die Politik schon 2010 dort weitermachte, wo sie 2008 aufgehört hatte. Abermals, sowohl in Deutschland und mehr noch in den europäischen Krisenländern, steht der rasche Rückzug des Staates aus seiner wirtschaftspolitischen Verantwortung ganz oben auf der politischen Agenda. Die öffentlichen Defizite sollen rasch abgebaut werden, die Notwendigkeit hierzu wird durch die im Grundgesetz verankerte »Schuldenbremse« forciert. In den europäischen Krisenländern sind
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