Irrweg Grundeinkommen
die lebensnotwendigen Güter aber konstant gehalten wird.
Entscheidend für die Umverteilungseffekte der Staatstätigkeit ist letztlich, welche Verteilungswirkungen sich aus der Summe allerstaatlichen Aktivitäten ergeben. Selbst wenn die Einkommensteuer progressiv ausgestaltet ist, heißt das noch nicht, dass der Staat die Verteilung hinreichend korrigiert. Die Verteilungswirkung einer progressiven Einkommensteuer kann durch eine regressive Verbrauchsteuer ausgeglichen oder überkompensiert werden. Die Gesamtwirkung lässt sich erst ermitteln, wenn die Ausgabenseite des Staatshaushaltes in die Analyse einbezogen und die Frage der Chancengleichheit (Erziehung, Bildung und Ausbildung) sowie der sozialen Sicherheit (Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit) diskutiert wird.
Eine immer wieder in der Diskussion von der Steuersenkungsfraktion vorgebrachte Argumentation, die zeigen soll, wie einseitig das deutsche Steuersystem trotz aller Steuersenkungen für die Reichen noch immer ist, beruft sich regelmäßig auf eine bestimmte Zahl von Menschen, die eine bestimmte Steuersumme aufbringen. Beliebt ist etwa die Relation, »zehn Prozent der Steuerzahler erbringen 40 Prozent aller Steuern«. 64 Wenn so argumentiert wird, weiß man sofort, dass hier ein Lobbyist am Werk ist. Natürlich kommt es nicht darauf an, wie viele Personen einen bestimmten Anteil der Steuern erbringen, sondern wie hoch das Einkommen dieser Personen im Vergleich zum gesamten Einkommen der Bevölkerung ist. Liegt das Einkommen der besagten zehn Prozent der Steuerzahler beispielsweise bei 40 Prozent des Gesamteinkommens, würde die relevante Aussage lauten: Die Personen, die 40 Prozent des Gesamteinkommens verdienen, erbringen 40 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Dann wüsste jeder sofort, dass hier keinerlei Problem vorliegen kann.
Der permanente Ruf nach Senkung der Steuern und der Sozialabgaben
Die deutsche Wirtschaftspolitik der vergangenen drei Jahrzehnte gab vor, mit der Umverteilung die »Marktkräfte« stärken zu wollen und damit über steigende Investitionstätigkeit das Wachstumund den Aufbau von Beschäftigung anzuregen. Dass das nicht gelungen ist beziehungsweise nur zu einem extrem hohen Preis in den letzten Jahren, haben wir schon gezeigt. In der wirtschaftspolitischen Debatte gewinnt zuletzt, insbesondere in Bezug auf die südeuropäischen Länder, schon wieder der Grundgedanke an Boden, diese Länder hätten jede Menge struktureller Probleme, die allein durch Reformen auf den vermeintlich überregulierten und unflexiblen Arbeitsmärkten, den Abbau des überbordenden Sozialstaates sowie eine Verringerung der Staatsverschuldung und Steuerbelastung beseitigt werden könnten. Die deutsche Erfahrung wird sogar bei manchen noch als Beweis der Überlegenheit der »strukturellen Lösungen« verstanden, weil Deutschland im Moment noch relativ gut dasteht.
Daher ist es wichtig, sich die Beweggründe für das deutsche Vorgehen noch einmal vor Augen zu führen und zu hinterfragen. Die Absenkung der Sozialausgaben und der Lohnnebenkosten (vgl. zum Missbrauch der Lohnnebenkosten in der politischen Debatte zum Beispiel Flassbeck 2009) etwa wurde angemahnt, damit die Antriebskräfte des Systems nicht zum Schaden aller erlahmten und die deutsche Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen könne. Auch sei die Steuerbelastung zu hoch, denn sie verhindere ein Mehr an Investitionen und Beschäftigung. Höhere Investitionen und mehr Arbeit könnten sogar höhere Steuereinnahmen generieren. In einer Wirtschaft, in der strukturelle Probleme dominierten, so die herrschende Ideologie, seien stabilisierungs- und beschäftigungspolitische Interventionen des Staates überflüssig, ja sogar schädlich. Geringere staatliche Defizite bewirkten langfristig einen höheren Output, weil in Zukunft niedrigere Steuern oder keine zusätzlichen Belastungen erwartet werden könnten, was den Konsum belebe. Konsumentscheidungen würden nicht von kurzfristigen Einkommensfluktuationen, sondern von den auf Dauer erwarteten Einkommen geprägt. Folglich übten kurzfristige, konjunkturpolitisch motivierte Maßnahmen keinen Einfluss auf das Wachstum aus.
Tatsächlich wurde durch die deutsche Wiedervereinigung die Finanzpolitik in den 1990er Jahren vor riesige Herausforderungen gestellt, erforderten doch die institutionellen Weichenstellungen einen enormen Transferfluss von West- nach Ostdeutschland. Allerdings erhielt die westdeutsche Wirtschaft dadurch äußerst starke Impulse,
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