Irrweg Grundeinkommen
wenn eine private Lösung nicht zu finden ist oder zu gesellschaftlich nicht akzeptablen Ergebnissen führen würde. Darüber hinaus organisiert der Staat die soziale Absicherung der Bürger im Alter, bei Krankheit oder bei Arbeitslosigkeit. Laut Grundgesetz handelt es sich in Deutschland nicht nur um ein demokratisches Staatswesen, sondern auch um einen sozialen Bundesstaat.
Über das Steuersystem und die Systeme der sozialen Absicherung hat der Staat die Möglichkeit, die Verteilung massiv zu beeinflussen und den Menschen eine Teilhabe an den Erfolgen des Wirtschaftsprozesses zu ermöglichen, die bei den bestehenden Machtverhältnissen oder aufgrund persönlicher Nachteile keine Chance auf ein vernünftiges, materiell abgesichertes Leben hätten. Diese Aufgabe des Staates wurde aber in den vergangenendrei Jahrzehnten der großen Umverteilung zu einem erheblichen Teil der Ideologie geopfert, wonach der Staat die wirtschaftlichen Ergebnisse von Marktprozessen nicht nur nicht korrigieren sollte, sondern vielmehr diejenigen zu unterstützen habe, die ohnehin die Sieger im Wettkampf an den Märkten sind. Das Ergebnis dieser Politik ist, wie oben schon gezeigt, verheerend. Es ist dennoch wichtig, noch einmal nachzuvollziehen, wie eine solche Ideologie zustande kommen konnte und wie sie begründet wurde.
Ungleichheit und Wirtschaftswachstum
Lange Zeit bestand in Deutschland weitgehend Konsens darüber, dass die aus dem wirtschaftlichen Prozess resultierende Primärverteilung ungleich und ungerechtfertigt sei und folglich durch staatliche Eingriffe korrigiert werden sollte. Die grundlegende Idee der »sozialen Marktwirtschaft« sah vor, die Mechanismen und Ergebnisse der wirtschaftlichen Prozesse mit einer Politik des sozialen Ausgleichs zu verbinden. Über viele Jahre bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass eine Umverteilung von »oben nach unten« notwendig ist, um die machtbedingt extrem ungleichen Ergebnisse des »Marktes« zu korrigieren.
Mit dem Entstehen hoher und anhaltender Arbeitslosigkeit Mitte der 1970er Jahre etablierte sich allerdings in der Verteilungspolitik ein »neues« Denken: Neoklassische Erklärungen zur Entstehung der Arbeitslosigkeit wurden populär, die darauf hinausliefen, eine zu weitgehende Nivellierung der »notwendigen« Verteilungsunterschiede habe die produktiven Kräfte des »Marktes« beeinträchtigt, so dass es zu einem Zielkonflikt zwischen Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit gekommen sei. Daher müsse nicht nur die Verteilungspolitik selbst, sondern auch die Richtung der Verteilungspolitik geändert werden. Der Staat habe nun die Aufgabe, denen, die ohnehin schon begünstigt sind, zusätzlich unter die Arme zu greifen, während die anderen lernen müssten, die von ihnen geforderte Leistung zu erbringen, selbst wenn dieEntlohnung dafür sinke. Die Umverteilung von unten nach oben war geboren.
Neben der Steuerpolitik wurde dazu die Kappung des Sozialstaats – ein Zuviel an Sozialstaat mindere die Leistungsanreize, die hohen »Lohnnebenkosten« verhinderten Beschäftigungsaufbau – ins Visier genommen. Der Sozialstaat sei im bisherigen Umfang nicht mehr finanzierbar, so hieß es, und die Ärmeren in der Gesellschaft müssten durch die Kürzung staatlicher Leistungen unter Druck gesetzt werden, mehr zu arbeiten oder ernsthafter Arbeit zu suchen, während die Reicheren steuerlich stärker gefördert werden müssten, um zusätzliche Anreize für mehr Leistung und für mehr Investitionen zu erhalten. Dadurch würde sich der Wohlstand insgesamt erhöhen, und der Staat hätte weniger Anlass für verteilungspolitisch motivierte Eingriffe ins Wirtschaftsgeschehen.
Auf die Verteilung der Einkommen wirkt der Staat aber nicht nur durch die Besteuerung, sondern auch durch die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen sowie durch die Gewährung von Transferausgaben. Wie stark sich das öffentliche Angebot an Dienstleistungen auf die Einkommens- und Vermögensverteilung auswirken kann, wird am Beispiel der schulischen Bildung oder auch der frühkindlichen Erziehung deutlich. Die vielzitierte Chancengleichheit findet ihre Konkretisierung vor allem beim Zugang zum Bildungssystem. Gerade Kinder aus unteren Einkommensschichten sind auf ein funktionsfähiges und gut ausgestattetes Bildungssystem angewiesen, wie zahlreiche Untersuchungen aus der jüngeren Zeit zeigen. Eine gute Bildung und Ausbildung sind enorm wichtig für die Armutsprävention und die Vermeidung von sozialer Ausgrenzung.
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