Irrwege
an. »Was nicht? Mich allein lassen? Mir passiert schon
nichts.«
Gerührt, erfreut über den besorgten Ausdruck in
ihren Augen – der ersten weichen Regung, die sie erkennen ließ –, streckte er
die Hand aus, um ihr das schweißfeuchte Haar aus der Stirn zu streichen. »Du
bist verletzt. Laß mich sehen…«
Mit einem flammenden Blick wich sie der
Berührung aus. »Du bist ein Narr.« Sie nickte zu Alfred hin. »Laß ihn sterben.
Laß sie alle sterben.«
Schroff wandte sie ihm den Rücken zu und schaute
zum Höhlenausgang.
Haplo spürte das Vibrieren des Bodens unter den
Fußsohlen. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. Er streckte die Hand über die
Lücke in dem Felsband. »Alfred«, sagte er ruhig. »Ich brauche dich.«
Alfred hob ein müdes, verhärmtes Gesicht und sah
Haplo verwundert an. Der Hund ließ auf ein stummes Signal seines Herrn los.
»Ich schaffe das nicht alleine«, fuhr Haplo
fort. »Ich brauche deine Hilfe, um meine Tochter zu finden. Komm mit mir.«
Alfreds Augen füllten sich mit Tränen, ein
zaghaftes Lächeln huschte um seinen Mund. »Wie soll ich helfen? Ich kann
nicht…«
»Gib mir deine Hand. Ich ziehe dich herüber.«
Alfred beugte sich gefährlich weit vor und
streckte ebenfalls die Hand aus. Haplo umfaßte das knochige Gelenk, das aus den
zerfransten Spitzen seiner zu kurzen Manschetten ragte. Eine Welle heftiger
Erschütterungen durchlief den Fels, Alfred verlor den Halt.
»Lauf, Marit!« schrie Haplo und skandierte die
Beschwörung.
Blaue und rote Sigel erschienen in der Luft. Er
verknüpfte die Runen zu einem schimmernden Seil, das an seinem Arm
entlangglitt und sich um Alfreds Körper schlang.
Die Höhle stürzte ein. Haplo riskierte einen
raschen Blick und sah Marit und Hugh mit weiten Sätzen zum Ausgang stürmen.
Ein Stein traf Marit am Kopf. Die Runen an ihrem
Körper bewahrten sie vor einer Verletzung, aber sie fiel hin. Hugh Mordhand
half ihr auf, nebeneinander liefen sie weiter. Der Assassine schaute einmal
zurück, ob Haplo ihnen folgte. Marit nicht.
Haplo packte das Seil und riß den Sartan – mit
seinen hängenden Armen und Beinen sah er aus wie eine tote Spinne am Faden –
über die Bruchstelle zu sich herüber.
Genau im selben Moment begann das gesamte
Fels-band zu bröckeln.
»Hund! Spring!« schrie Haplo.
Der Hund schob die Hinterläufe unter den Leib,
und als der Fels nachgab, schnellte er durch die stauberfüllte Luft. Er
prallte gegen Alfred, und beide fielen hin.
Geröll und Schotter regneten auf den Pfad,
drohten ihn zu blockieren. Haplo riß den Sartan hoch und schüttelte ihn.
Alfreds Augen rollten nach hinten, sein Körper wurde schlaff.
»Wenn du ohnmächtig wirst, stirbst du hier. Und
ich ebenfalls!« schrie Haplo ihm ins Ohr. »Gebrauch deine eigene Magie,
verdammt!«
Alfred blinzelte, äugte starr um sich. Dann
holte er schnaufend Atem. Während er mit schwankender Stimme die Runen sang,
breitete er die Arme aus und schwebte auf den Ausgang zu, der rasch kleiner
wurde.
»Komm, alter Junge«, rief Haplo den Hund und
folgt den anderen. Seine Magie traf wie ein Rammbock die Felsen, die ihm den
Weg versperrten. Sie wurden zertrümmert, weggeschleudert.
Alfred schwebte empor und durch die Öffnung. Mit
den auf und nieder schlagenden Armen und den steif nach hinten weggestreckten
Beinen sah er aus wie ein schoßberockter Kranich.
Ein riesiger Felsblock traf Haplo, stieß ihn zu
Boden und blieb auf seinem Bein liegen. Die Steinhügel vor dem Ausgang wuchsen
stetig, der ganze Berg war in Bewegung geraten. Haplo benutzte seine Magie als
Hebel, rollte den Block zur Seite, hechtete nach vorn und stieß die Hand durch
die winzige Öffnung.
Der Spalt wurde größer. Sartanrunen liefen an
seinem Arm entlang, verstärkten das Leuchten der Patrynsigel.
»Zieh ihn heraus!« rief Alfred draußen. »Ich
halte den Durchgang offen!«
Hugh Mordhand ergriff Haplo und zerrte ihn durch
den magisch erschaffenen Tunnel. Sofort sprang Haplo auf und begann zu laufen.
Der Assassine und Alfred blieben neben ihm, der Hund stürmte laut bellend
voraus. Alfred mußte natürlich über seine eigenen Füße stolpern; Haplo blieb
nicht erst stehen, sondern hob den Sartan auf die Arme und hastete weiter.
Marit stand auf einer Anhöhe und sah ihnen entgegen.
»Geh in Deckung!« rief Haplo warnend.
Eine Lawine aus Steinen und entwurzelten Bäumen
wälzte sich brüllend die Bergflanke hinunter.
Haplo warf sich
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