Irrwege
reißend unter den Bäumen floß.
»Ich habe mich nach unserer Tochter erkundigt«,
sagte er. »Im Dorf gibt es mehrere Mädchen in ungefähr ihrem Alter, die Reue
heißen. Ich weiß nicht warum, aber das habe ich nicht erwartet.«
Sie hatte einen Stock gefunden, hielt ihn ins
Wasser und schaute zu, wie sich kleine Strudel bildeten.
»Ich hasse diesen Ort«, sagte sie abrupt. »Ich
verabscheue ihn, fürchte ihn. Aber ich habe ihn nie wirklich verlassen. Immer
noch träume ich davon. Und als ich zurückkam, hatte ich Angst, doch ein Teil
von mir – ein Teil von mir…« Sie schluckte, zog die Stirn kraus und schüttelte
ärgerlich den Kopf.
»… fühlte sich, als wärst du heimgekommen«, beendete
er den Satz für sie.
Sie blinzelte überrascht. »Aber ich bin nicht
heimgekommen. Ich gehöre nicht mehr dazu.« Der Blick über die Schulter galt
den Patryn am Feuer. »Ich habe mich verändert.« Wieder ein Augenblick
Schweigen, dann sagte sie: »Das war’s, was du gemeint hast, nicht wahr?«
»Daß Hugh und ich uns ähnlich sind?« Haplo
konnte nachvollziehen, was sie dachte und fühlte. »Langsam fange ich an zu
verstehen, weshalb die Sartan auf den Namen Todestor verfallen sind. Als wir
hindurchgingen, sind wir beide in gewisser Weise gestorben. Wenn wir versuchen
zurückzukehren, unser altes Leben wieder aufzunehmen, ist es unmöglich. Wir
haben uns beide verändert. Wir sind verändert worden.«
Haplo wußte, was ihn verändert hatte. Er
fragte sich, was bei Marit der Auslöser gewesen sein mochte.
»Aber im Nexus war es nicht so«, wandte Marit
ein.
»Das liegt daran, daß im Nexus noch der Einfluß
des Labyrinths spürbar ist. Man lebt in Sichtweite des Letzten Tores. Jeder
denkt nur an das Labyrinth. Du hast davon geträumt, sagst du. Die Angst
verfolgt dich. Doch nun träumst du von anderen Dingen, anderen Orten…«
Hatte Hugh Mordhand geträumt? Geträumt von diesem
Hafen des Friedens und Lichts, den er beschrieb?
Und wie sahen Marits Träume aus?
Er wußte es nicht, und sie war offensichtlich
nicht geneigt, ihm davon zu erzählen.
»Im Labyrinth umschloß der Kreis meines Seins
nur mich selbst«, sprach Haplo weiter. »Niemand anderen, nicht einmal dich.«
Diesmal schaute sie ihn an.
»Genau, wie dein Kreis niemals mich einschloß«,
fügte er ohne Vorwurf hinzu.
Sie wandte den Blick wieder ab.
»Keine Namen«, fuhr Haplo fort. »Nur Gesichter.
Kreise, die sich berührten, aber nie verbanden…«
Sie fröstelte, ihr entschlüpfte ein kleiner,
abgehackter Laut, und er verstummte, wartete darauf, daß sie etwas sagte, doch
sie schwieg.
Haplo hatte einen empfindlichen Punkt getroffen,
aber welchen? Er redete weiter, in der Hoffnung, sie aus ihrem Schneckenhaus
zu locken. »Im Labyrinth war mein Kreis ein Panzer, der mich davor bewahrte,
irgend etwas zu fühlen. Ich wollte, daß es so bleibt, doch erst durchbrach der
Hund den Kreis, und jedesmal, wenn ich das Todestor durchschritt, kamen weitere
Leute hinzu, ohne daß ich es merkte. Mein Kreis wuchs, weitete sich aus.
Es war nicht meine Absicht. Ich wollte es nicht.
Doch hatte ich eine Wahl? Entweder das oder sterben. Ich erlebte Furcht da
draußen, schlimmer als alles im Labyrinth. Ich heilte einen jungen Elfen,
wurde geheilt von Alfred, meinem Todfeind. Ich habe Wunder gesehen und
Schrecken. Ich erlebte Glück, Schmerz, Trauer. Ich erkannte mich selbst.
Was mich verändert hat… Ich möchte gern glauben,
es war jener Raum. Das Sanktuarium. Alfreds Siebentes Tor. Die Begegnung mit
der ›höheren Macht‹ oder wie man es nennen will. Aber im Grunde weiß ich, es
waren Limbeck und seine Reden und Jarre, die ihn einen Schlurch nennt. Es
waren die Zwergin Grundel und das Menschenmädchen Alake, das in meinen Armen
starb.«
Haplo lächelte und schüttelte den Kopf. »Sogar
diese vier ewig streitenden Nichtigen auf Pryan: Paithan, Rega, Roland und
Aleatha. Ich denke an sie, frage mich, was aus ihnen geworden ist.«
Haplo strich über die Haut an seinem Unterarm,
die Tätowierungen glommen schwach, meldeten Gefahr, aber weit entfernt,
unbestimmt. »Du hättest sehen sollen, was für Gesichter die Nichtigen machten,
als sie zum erstenmal sahen, wie meine Haut anfing zu leuchten. Ich dachte,
Grundel würden die Augen aus dem Kopf fallen. Und heute fühle ich mich unter
meinen eigenen Landsleuten wie damals unter den Nichtigen – fremd. Meine
Reisen haben Spuren an mir hinterlassen, sichtbare
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