Irrwege
schwach, um zu fliehen, aber die Gefahr
bestünde natürlich…«
»Nein.« Xar begann sich zu langweilen. »Ich
brauche Informationen. Bring ihn soweit zu sich, daß er ansprechbar ist.«
Das Gitter vor der Zelle verschwand. Sang-drax
ging hinein und stieß Samah mit der Stiefelspitze an. Der Sartan stöhnte auf.
Xar kniete neben ihm nieder, umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen und hob ihn
hoch. Die Berührung des Fürsten war alles andere als sanft, lange Nägel bohrten
sich in Samahs graue Haut, Blut quoll hervor und lief in Rinnsalen über sein
Gesicht.
Die Lider hoben sich von Samahs Augen. Er
starrte den Fürsten an, aber in seinem Blick lag kein Erkennen. Xar schüttelte
ihn, grub die Finger ein bis auf die Knochen.
»Sieh mich an! Weißt du, wer ich bin?«
Samah rang nach Atem, ein rasselndes Geräusch
drang aus seiner Kehle. Xar kannte die Anzeichen.
»Das Siebente Tor! Wo ist das Siebente Tor?«
Samahs Augen weiteten sich. »Niemals gewollt…
Tod… Chaos! Was – fehlgeschlagen…«
»Das Siebente Tor!« drängte Xar.
»Fort.« Samah schloß die Augen; er sprach wie im
Fieber. »Haben – fortgeschafft. Niemand weiß… Rebellen… Könnten versuchen, zu…
rückgängig machen…«
Blutiger Schaum trat auf seine zerbissenen
Lippen, er bäumte sich schwach auf, unter halbgeöffneten Lidern wurden die
Augen starr.
Xar ließ den Kopf des Sartan los. Er fiel
haltlos zurück und prallte mit einem dumpfen Knacken auf den Steinboden. Der
Fürst legte die Hand auf Samahs stille Brust, tastete nach seinem Puls. Nichts.
»Er ist tot«, verkündete Xar mit beherrschter
Erregung. »Und sein letzter Gedanke galt dem Siebenten Tor. Sie hätten das Tor
fortgeschafft, behauptet er. Unsinn! Er war viel stärker, als du geglaubt hast,
Sangdrax. Stark genug, um diese Täuschung bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Nun
aber rasch!«
Mit einem Ruck riß er Samahs nasse Gewänder auseinander
und setzte die Spitze eines Dolchs mit runenverzierter Klinge auf die Stelle
über dem Herzen. Blut, noch lebenswarm und rot, quoll aus dem Einstich. Er
murmelte die Sigel halblaut vor sich hin, während er die Linien der magischen
Zeichen in Samahs totes Fleisch ritzte.
Die Haut wurde kalt unter der Hand des Fürsten,
das Blut floß träger. Der falsche Patryn stand einige Schritte entfernt, ein
Lächeln glomm in dem einen guten Auge. Xar hob nicht einmal den Blick von
seinem Werk. Als sich Schritte näherten, fragte er nur: »Lazar? Bist du hier?«
»Ich bin hier«, antwortete eine monotone Stimme.
»… bin hier«, hauchte das Echo.
»Ausgezeichnet.«
Xar richtete sich auf, seine Hände und der Dolch
waren blutigrot. Er deutete mit dem Finger auf Samahs Brust und sprach ein
Wort. Die Herzrune flammte blau, gab ihre Magie an die Schwesterrune weiter,
von dort sprang sie auf die nächste über und die nächste, bis ein flimmerndes
blaues Leuchten Samahs ganzen Körper umhüllte.
Eine geisterhafte Nebelgestalt materialisierte
sich neben dem Leichnam, als bestünde der Schatten des Toten aus Licht, statt
aus Schwärze. Xar holte tief Atem. Diese Erscheinung war das Schemen – der
ätherische, immaterielle Teil eines jeden lebenden Wesens, was die Nichtigen
als ›Seele‹ bezeichnen.
Das Schemen versuchte sich von dem Körper loszureißen,
sich zu befreien, doch es war untrennbar verbunden mit der Hülle aus
erkaltetem, blutigem Heisch und konnte sich nur in Qualen winden, vergleichbar
dem, was der Körper vor seinem Tod hatte erdulden müssen.
Plötzlich war das Schemen verschwunden. Xar
runzelte die Stirn, dann aber sah er die toten Augen aufleuchten: eine
Vortäuschung von Leben, als das Schemen sich für kurze Zeit mit dem Körper
vereinigte.
»Ich habe es vollbracht!« rief Xar euphorisch.
»Ich habe es vollbracht! Ich habe dem Toten neues Leben geschenkt!«
Aber jetzt was tun? Der Fürst war nie Zeuge
einer Auferstehung gewesen, sein Wissen stammte von Haplos Beschreibungen und
der – angewidert und erschüttert von dem, was er auf Abarrach mit ansehen
mußte – hatte sich in seinem Bericht auf das Notwendigste beschränkt.
Samahs toter Körper setzte sich ruckartig auf.
Er war ein Lazar.
Xar wich einen Schritt zurück. Die Tätowierungen
auf seiner Haut leuchteten blau und rot. Lazare sind Geschöpfe mit großer
Macht, erfüllt von einem furchtbaren Haß auf alles Lebende und begabt mit der
Kraft von Wesen, die darüber hinaus sind, Schmerzen und
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