Isabelle
Krankenschwester stützte Isabelle mit einer Hand im Rücken und zupfte die Kissen hinter ihren Schultern und ihrem Kopf zurecht. Kleiweg fand, dass sie schon besser aussah. Ihr Gesicht war zwar noch bleich, aber nicht mehr so aufgedunsen, und es hatte nicht mehr diese teigige Farbe. Ihr Blick war in sich gekehrt und erinnerte ihn an die Mona Lisa, nur dass sie keine Spur dieses rätselhaften Lächelns im Ge sicht trug, das ihm persönlich immer in erster Linie trau rig vorgekommen war. Sie war nicht mehr an die Monito re angeschlossen, und der letzte noch übrig gebliebene Schlauch führte zu einem Tropf.
»Hallo Isabelle«, sagte er. »Ich bin Inspecteur Klei weg.« Er lächelte und nickte der Krankenschwester zu, die den Wink verstand. Sie griff nach dem Klingelknopf am Ende des Bettes und drückte ihn Isabelle in die Hand. »Klingel einfach, wenn du mich brauchst. Oder wenn du die Nase voll hast von dem Inspecteur, dann komme ich und werfe ihn raus.«
Isabelle nickte. Jetzt lächelte sie ein klein wenig, wo durch sie noch mehr der Mona Lisa glich.
Kleiweg nahm sich einen Stuhl. »Sie haben ein furcht bares Erlebnis gehabt«, sagte er. »Und ich verstehe, dass Sie es so schnell wie möglich vergessen möchten.«
»Vergessen?«, erwiderte Isabelle. »Wie könnte ich das vergessen?«
»Es gibt Leute, die Ihnen dabei helfen können. Vielleicht nicht unbedingt, alles zu vergessen, aber das Geschehene zu verarbeiten.« Er stellte den Stuhl hin und setzte sich neben sie, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte.
»Ich brauche keinen Psychiater«, sagte Isabelle. »Ich möchte nur wissen, was passiert ist. Niemand will es mir sagen.«
Er nickte. »Haben Sie noch Schmerzen?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Unterlippe zitterte. »Warum ist Ben ermordet worden?«
»Das wissen wir nicht. Noch nicht. Ich hatte die vage Hoffnung, dass … Wie lange kannten Sie ihn schon?«
Sie schaute hinauf zur Decke und bewegte die Lippen, als zähle sie die Stunden, wie sie es wahrscheinlich schon hundert Mal getan hatte. »Vierzehn Stunden«, sagte sie dann. Sie wandte den Blick Kleiweg zu und schaute ihn an, als fordere sie ihn dazu heraus, eine Bemerkung darüber zu machen.
Liebe auf den ersten Blick, dachte er. Sie wirkte nicht wie der Typ für so etwas, aber vorläufig war sie für ihn ja noch genauso ein Geheimnis wie die Mona Lisa. »Wie kamen Sie beide in dieses Gasthaus?«
Sie schien nachzudenken, aber er sah ihr an, dass sie ihre Antworten schon längst durchdacht und vorbereitet hatte. »Ben kam um halb sechs in die Autobahnraststätte, in der ich arbeite, um mich abzuholen. Dann sind wir zu dem Gasthaus gefahren. Wir haben dort gegessen und dann beschlossen, dazubleiben.«
»Ich verstehe, dass es Ihnen schwer fällt, darüber zu reden.«
Sie biss sich auf die Lippe.
»Haben Sie bemerkt, dass Sie verfolgt wurden?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht.«
»Hat er jemanden angerufen? Hat er selbst einen Anruf erhalten?« Sie schüttelte auf jede Frage den Kopf. »Kann jemand gewusst haben, wo er war?«
»Ich glaube nicht«, flüsterte sie. »Es war ein spontaner Entschluss.«
»Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches an ihm aufgefallen?« Er begriff, dass das eine unsinnige Frage war. Wie hätte sie wissen können, was an einem Mann gewöhnlich beziehungsweise ungewöhnlich war, den sie gerade einmal vierzehn Stunden gekannt hatte? »Wirkte er nervös oder unaufmerksam, hat er sich öfter umgeschaut?«
»Alles war ungewöhnlich«, sagte Isabelle leise.
Kleiweg seufzte. Ja, alles war ungewöhnlich bei der Liebe auf den ersten Blick, die sogar bewirken konnte, dass ein Mann von beinah fünfzig Jahren seine Frau mit ihren Gästen sitzen ließ und sich ohne ein Wort aus dem Staub machte. Die Schwierigkeit bestand darin, aus dieser allumfassenden Ungewöhnlichkeit die Hinweise für eine andere Art von Ungewöhnlichkeit herauszusieben.
»Er hat doch bestimmt ein bisschen von sich erzählt.«
Sie nickte und schloss die Augen. »Ben erwartete angenehme Dinge, nicht, dass ihn jemand ermorden würde.«
Ihre Stimme klang zutiefst traurig. Kleiweg sah das Glitzern zwischen ihren Augenlidern und legte seine Hand auf ihre, die, in der sie den Klingelknopf hielt. Er schwieg eine Weile.
»Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll«, flüsterte sie.
Er ließ seine Hand, wo sie war. »Uns helfen, den Täter zu finden. Haben Sie ihn gesehen?« »Ihn?« Sie öffnete die Augen. Sie waren nass. »Es kann doch auch eine
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