Isabelle
Frau gewesen sein.«
»Wieso denn eine Frau?«, fragte er freundlich.
»Er war verheiratet.«
»Seine Frau war den ganzen Abend mit anderen Leuten zusammen.«
»Vielleicht hat sie jemanden angeheuert.«
»Was haben Sie gesehen?«
»Es war dunkel. Ich dachte, ich hätte etwas gehört, dann kam ein greller Lichtblitz, ich glaube, es war eine Taschenlampe. Ich kann mich an keinen Schuss erinnern. Ich muss bewusstlos geworden sein.«
Kleiweg nickte. Er hatte von Anfang an gewusst, dass Isabelle nichts gesehen hatte, dass ihre Aussage ihnen nicht weiterhelfen würde und dass sie dieser Tatsache wahrscheinlich ihr Leben verdankte. Alles wies darauf hin, dass der Täter ein Profi war, einer, der einen Auftrag ausführte. Auftragskiller vermieden jegliche überflüssige Komplikation und hinterließen keine zusätzlichen Opfer, wenn es nicht unbedingt nötig war, weil sie wussten, dass man sie ansonsten nur umso hartnäckiger jagen würde.
Kleiweg gab Isabelle seine Karte in die Hand. »In ein paar Tagen werden Sie sich wieder besser fühlen, und vielleicht kommt dann Ihre Erinnerung wieder zurück«, sagte er ohne große Hoffnung. »Wenn das passiert, würden Sie mich dann bitte anrufen?«
»Ich war bewusstlos«, wiederholte Isabelle.
5
Als Judith die Tür öffnete, wurde sie von einem Lichtblitz geblendet. Ein Mann ließ die Kamera sinken, ein zweiter hielt ihr ein Mikrofon unter die Nase. »Mevrouw Visser?«
Judith knallte die Tür zu. Mary kam in den Flur.
»Wo ist Johan?«
»Im Treibhaus, glaube ich.«
Judith fluchte. »Zum Teufel mit den Orchideen!« Sie griff nach dem Telefon und wählte die Nummer von Johans Handy.
»Johan, hier stehen ein paar Scheißkerle mit Kameras vor der Tür. Bitte werfen Sie sie raus, schließen Sie das Tor ab und sorgen Sie dafür, dass keine Menschenseele ohne meine ausdrückliche Erlaubnis das Grundstück betritt!«
Sie legte den Hörer auf und fuhr Mary an: »Dasselbe gilt auch für Sie!«
»In Ordnung, Mevrouw«, sagte Mary.
Judith wandte sich an ihre Haushälterin und sagte: »Tut mir Leid. Im Grunde ist es sowieso egal. Wir können sagen oder verschweigen, was wir wollen, die denken sich ja doch einfach irgendeine Geschichte aus.«
»Das geht schon wieder vorbei«, meinte Mary tröstend.
»Vielleicht die Berichte in den Zeitungen und im Fernsehen«, sagte Judith. »Aber nicht das Gerede im Dorf. Noch in fünf Jahren wird man hier über nichts anderes tratschen.«
»Die Leute werden es schon verstehen«, sagte Mary.
Judith befand sich bereits auf dem Weg ins Wohnzimmer. Sie blieb abrupt stehen und drehte sich um. »Verstehen, was denn?«, fragte sie mit unheilvollem Unterton.
Nervös erwiderte Mary ihren Blick. »Na, dass Sie nichts dafür können.«
Judith lachte freudlos. »Dann verstehen die mehr als ich. Ich weiß noch nicht mal, ob ich nach dieser Schande hier wohnen bleiben kann.«
»Aber Sie können doch nichts dafür.« Mary raffte ihren Mut zusammen. »Es ist doch nicht Ihre Schuld.«
»Nein, ich habe nicht den Abzug gedrückt«, antwortete Judith. »Aber wie steht’s mit dem Rest?« Sie schüttelte den Kopf und machte eine ungeduldige Bewegung. »Bitte lassen Sie mich jetzt allein.«
Sie musste sich an konkreten Dingen festklammern, um nicht verrückt zu werden. Abends lag sie allein im Bett, zum ersten Mal seit vier Jahren. Dort fühlte sie die Trauer und den Verlust, nicht weil ihr der Sex fehlte, der zuletzt sowieso immer rarer geworden war, sondern weil sie den Mann vermisste, den sie trotz der Streitigkeiten und des Grolls und der Kälte stets als den ihren betrach tet hatte. Sie nahm Tabletten, um schlafen zu können. Sie versuchte, sich nicht schuldig zu fühlen, aber es fiel ihr schwer. Ständig quälte sie dieser Schmerz, durch die Wir kung der Tabletten hindurch, bis in ihre Spukbilder und Albträume hinein.
Tagsüber stürzte eine Flut von Problemen und Gefüh len auf sie ein. Sie musste sich mit der Polizei herum schlagen, mit den Medien und mit ihrer Mutter. Sie muss te sich mit dem Dorf beschäftigen, mit ihren Bekannten und Verwandten, und ihren guten Namen verteidigen. Jeder Frau konnte es passieren, dass ihr Mann einmal fremdging, wahrscheinlich hatten die meisten ihrer Be kannten solche Männer, aber nicht jede hatte einen Mann, der bei dieser Gelegenheit erschossen wurde, wo durch der Seitensprung eine ganz andere Qualität erhielt und zu einem Drama wurde, das landesweite Aufmerk samkeit erregte und die Fotografen vor die Tür
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