Isau, Ralf - Neschan 03
sollst. Wahrscheinlich hast du den armen Drachen so lange gehetzt, bis er hier im Gemüsebeet zusammengebrochen ist. Und der ganze Kohl ist auch verdorben.«
Yonathan hätte schwören können, dass Garmok schuldbewusst aussah. Ehe er etwas erwidern konnte, trat Yamina hinter dem Drachen hervor; ihr Transportsack hatte auf der dem Haus abgewandten Seite gehangen und so war es nicht weiter aufgefallen, als das Ostmädchen sich an einem Seil zu Boden ließ.
»Wer ist das?«, fragte Yamina und deutete mit dem Kopf in Bithyas Richtung.
»Einige nennen sie die Stachelwortspuckerin«, antwortete Gimbar an Yonathans Statt.
Yamina schaute zu dem zierlichen schwarz gelockten Mädchen zurück, sagte aber nichts. Dieses wiederum erwiderte den Blick. Man musterte sich gegenseitig.
»Und wer ist das?«, verlangte jetzt Bithya Auskunft. In ihrer Stimme schwang unüberhörbar ein bedrohlicher Unterton mit.
Yonathan, der schon seit einiger Zeit das Bedürfnis hatte ein paar klärende Worte zu sprechen, antwortete: »Sie ist eine Freundin…« Und da er ahnte, dass diese Bezeichnung Anlass zu Missverständnissen geben konnte, fügte er schnell hinzu:»… von Gimbar und von mir. Sie hat uns bei unserer Aufgabe sehr geholfen.«
»Eine Freundin?« Bithyas Miene schien wie vereist, aber ihre Unterlippe begann zu zittern. »Du bringst also deine Freundin mit, um sie mir vorzustellen? Das ist doch…«
»Bithya!«, fiel ihr Yonathan ins Wort. »Was ist mir dir? Ich habe Tausende von Meilen zurückgelegt, mit Drachen und Schlimmerem gerungen und war froh wieder lebendig zu dir zurückzukommen und du bist eifersüchtig auf eine gute Kameradin?«
»Er hat Recht«, schaltete sich Yamina ein. »Genauso wie sich Gimbar für mich während der zurückliegenden Wochen als ein aufrichtiger Reisegefährte erwies, war es auch Yonathan. Außerdem hat er sowieso immer nur von dir gesprochen.«
Bithya blickte verwirrt von Yamina zu Yonathan und wieder zurück. Ihre Augen wurden feucht. Schließlich fuhr sie herum und flüchtete in das Haus. Balina eilte hinterher.
»So habe ich sie noch nie erlebt«, entschuldigte Yonathan diese seltsame Begrüßung. Er erinnerte sich an die Stunden vor seiner Abreise. »Jedenfalls fast noch nie.«
Währenddessen war Sorgan, der alte Hausdiener, zu ihm getreten. »Ich muss Euch etwas berichten«, meinte er traurig.
Yonathan wusste sogleich, dass etwas Schlimmes geschehen war. »Es ist Goel, nicht wahr?«
Sorgan schlug die Augen nieder und nickte. »Er lebt nicht mehr.«
»Es ist erst gestern Nacht passiert, stimmt’s?« Yonathan legte dem treuen Diener die Hand auf die Schulter.
Erstaunt hob Sorgan den Kopf. »Woher wisst Ihr das?«
Für einen Moment dachte Yonathan an die dunkle Vorahnung, die ihn beschlichen hatte, als er tags zuvor im Drachenhorst erwacht war. Es hatte also doch nichts genutzt die Befürchtung zu verdrängen.
»Goel und mich verbindet die Macht des Stabes«, erklärte er, als würde der sechste Richter noch leben. »Ich würde ihn gern noch einmal sehen.«
Sorgans Augen flackerten. »Das geht leider nicht, Geschan.«
»Wieso nicht?«
»Wir haben Goel gestern für das Begräbnis fertig gemacht und ihn dann wieder in sein Bett gelegt. Heute früh wollten wir ihn der Erde übergeben. Aber als wir in sein Zimmer kamen, war er verschwunden.«
»Ihr meint, wie wenn er aufgestanden und fortgegangen wäre?«
»Ich… ich weiß nicht. Aber es sah fast so aus.«
Yonathan musste an die dramatischen Ereignisse jener Zeit zurückdenken, als er mit seinen Gefährten die Wüste Mara durchquert hatte und in einen fürchterlichen Sandsturm geraten war.
Bar-Hazzats Sendbild erschien ihm und wollte ihn mit verlockenden Angeboten zur Aufgabe überreden. Als er der Versuchung widerstand, nahm der Sturm ein bedrohliches Ausmaß an. Plötzlich war er auf die Bochim gestoßen. In dieser Grabstätte der Richter Neschans fand er Schutz – und entdeckte die sechs Sarkophage, in denen die verstorbenen Richter auf den Tag der Weltentaufe warteten. Einer der aus edlen Steinen geschnittenen Särge war damals noch leer. Wie alle anderen trug auch er zwei Namen: Goel und Meng Tse, einen neschanischen und einen irdischen. Seit heute erfüllte auch dieser letzte Sarkophag seine Funktion.
»Yonathan, was ist mit dir?«
Er schreckte auf und sah in Gimbars Gesicht. »Nichts. Ich musste nur an etwas denken, das schon lange zurückliegt.« Er wandte sich noch einmal Sorgan zu und sagte: »In gewisser Hinsicht
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