Isau, Ralf - Neschan 03
nicht.«
»Was ist daran so schwer zu begreifen, Galal?«
»Warum hätte ich das tun sollen? Damit sie in Ruhe ertrinken können?«
»Du hättest sie auf deinen Rücken nehmen können.«
»Die Menschen nennen mich Traumfeld. Aber ich bin kein Schlachtfeld. Wenn die Menschen aus den kaputten Schiffen auf mich gestiegen wären, dann hätten sie dort mit euch gekämpft. Weißt du noch? Es waren sehr, sehr viele Menschen!«
Yonathan seufzte. »Ich wollte nur, dass du weißt, wie ich über all das denke, was heute geschehen ist. Vielleicht gelingt es dir ja Ähnliches in Zukunft zu vermeiden.«
Die Antwort des Traumfeldes ließ auf sich warten.
»Bist du noch da, Galal?«
»Na schön. Ich weiß jetzt, wie du denkst, Yonathan. Wenn wieder böse Menschen kommen, dann werde ich sie eben nicht in mich aufnehmen.«
»Das ist wirklich sehr vernünftig von dir, Galal.«
»Ja. Dann lasse ich sie eben ertrinken.«
XIX.
Die Vergessene Insel
Die Weltwind drang mit jedem Tag weiter in unbekannte Gewässer vor. Die Seekarten boten längst keine Anhaltspunkte mehr, phantasievoll gezeichnete Seeungeheuer füllten die leeren Flächen. Für abergläubische Naturen war das Meer hier, weit draußen, ein Ort voller Schrecken, für die Besonneneren dagegen nur eine weitere Wüste – kein Platz zum Leben, sondern bestenfalls zum Sterben.
»Glaubst du, das alles hat einen Sinn?« Gimbar lehnte neben Yonathan an der Reling. Seine Augen waren auf den unendlichen Horizont gerichtet.
Yonathan wandte sich dem Gefährten zu. »Meinst du unsere Aufgabe? Den Kampf gegen Bar-Hazzats Augen?«
Gimbar nickte. »Was ich sagen wollte, ist, dass wir doch nur schwache, unvollkommene Menschen sind. Bar-Hazzat dagegen ist ebenso wenig menschlich wie Melech-Arez. Manchmal komme ich mir vor wie eine Figur im Spiel der Götter: Man weiß nie, auf welches Feld sie einen im nächsten Moment ziehen.«
Yonathan lächelte. »Die lange Reise auf diesem endlosen Meer scheint aus dir einen Denker gemacht zu haben. Aber sorge dich nicht, was dieses ›Spiel der Götter‹ betrifft. Einen ähnlichen Gedanken äußerte übrigens auch schon Yomi, als wir dich in der Schlucht am Eingang zum Verborgenen Land suchten; er fragte sich, ob alles vorherbestimmt sei, ob es sich überhaupt lohne, sich anzustrengen. Auf dem Spielfeld dieser Welt mögen wir zwar nur winzige Figuren sein, aber Yehwoh hat uns erlaubt die Züge selbst zu bestimmen.«
»Du klingst erstaunlich zuversichtlich, Yonathan.«
»Schließlich ist es mir doch gelungen die ersten vier Augen Bar-Hazzats zu zerstören, oder?«
»Allerdings mussten wir dir dabei ein paarmal das Leben retten.«
»Jetzt klingst du fast wie Yomi, Gimbar.«
»Ich mache mir nur Sorgen um dich.«
»Das brauchst du nicht. Wenn wir erst einmal das Auge auf der Vergessenen Insel vernichtet haben, kann uns nichts mehr aufhalten. Dann ist der Weg zum Schwarzen Turm von Gedor frei.«
Gimbar riss sich vom Anblick des Meeres los. Seine Miene war ernst, als er zu Yonathan sagte: »Es wäre gut, wenn du nicht vergisst, wer dich dort in diesem Turm erwartet.«
»Land in Sicht!«
Die Meldung vom Krähennest wurde von der Besatzung der Weltwind mit Begeisterung aufgenommen. Nicht dass sie überraschend kam – bereits seit vier Stunden verfolgte man das Anwachsen der grauweißen Wolkensäule, die das Meer mit dem Himmel verband.
Acht Tage waren vergangen, seit die Bolemiden den temánahischen Flotten verband versenkt hatten; acht Tage der Ungewissheit und des Wartens. Auf dem Rücken Galals kam die Weltwind zwar gut voran, aber die erzwungene Tatenlosigkeit stellte die Geduld aller auf eine harte Probe. Vor allem diejenige Kaldeks. »Wie wenn man ein Schiff ins Trockendock legt und der Besatzung den Landgang verwehrt!«, schimpfte der Kapitän ein ums andere Mal. Das half ihm seine Stimme in Schuss zu halten, die seit langen Wochen nicht mehr trainiert worden war, da es ja keine Segelmanöver gab, zu denen sich passende Befehle brüllen ließen. Anfangs hatte er ununterbrochen die Decks schrubben lassen, aber auch daran verlor er bald die Freude. Während seine Männer erleichtert aufatmeten, wurde er immer missmutiger. Was war schon die Anordnung, zu Wasser und Wurzelbürste zu greifen, gegen die vielfältigen Kommandos, die gegeben werden mussten, um die Weltwind mit Steuerbordhalsen am Wind zu segeln? Bei diesem stetigen Westwind hätte jede Hand zupacken müssen, um den großen Dreimaster auf seinem Südwestkurs
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