Isau, Ralf - Neschan 03
spann mich nicht auf die Folter. Was ist der Grund dafür?«
»Meine Freunde.«
»Andere Galals?«
»Nein, andere Bolemiden.«
Ehe Yonathan diese Nachricht richtig verarbeiten konnte, spritzte plötzlich Wasser über die Schiffsbrüstung, als wäre eine kleine Welle gegen sie angebrandet. Im nächsten Moment hingen drei fremdartige Geschöpfe über der Reling: Sie besaßen die Größe von Menschen, glichen aber weichhäutigen, grüngelben Ameisen. Anstelle von Beinen verfügten sie über zahlreiche Tentakel mit Saugnäpfen und im oberen Bereich einer kopfähnlichen Verdickung befanden sich jeweils vier große Augen, die, getrennt voneinander, gleichzeitig in verschiedene Richtungen blicken konnten.
»Aller Friede Neschans sei mit Euch, Geschan«, sagte die mittlere der drei Gestalten. Die Worte des seltsamen Wesens wurden von zahlreichen Schmatzlauten begleitet, waren aber dennoch gut zu verstehen.
»Aller Friede sei auch mit Euch«, erwiderte Yonathan. »Ihr seid wirklich im letzten Moment gekommen, mein Freund. Wie heißt Ihr? Und was hat Euer Volk mit der temánahischen Flotte angestellt?«
Das von Yonathan angesprochene Wesen spritzte aus einer schmalen Hautfalte unterhalb der Augen einen Schwall Wasser hervor – vermutlich die bolemidische Form eines Lachens. »Ich bin Schachusch, Sohn der Königin Schsch, und was die schwarzen Schiffe betrifft: Wir haben ihnen die Ruder abgerissen.«
Yonathan schaute den Bolemiden-Prinzen mit offenem Mund an und musste schließlich lachen. »Natürlich! Deshalb diese unsinnigen Manöver!« Aus den Augenwinkeln nahm er dabei wahr, wie ein temánahischer Dreimaster mit wehenden Flaggen in die Tiefe rauschte. Yonathans Heiterkeit verflog genauso schnell, wie sie gekommen war. Er blickte aufs Meer hinaus. Immer mehr Schiffe nahmen Wasser auf und bekamen Schlagseite. »Wie mir scheint, habt Ihr Euch nicht auf die Ruder beschränkt, Prinz Schachusch.«
»Meine Kämpfer verstehen sich nicht besonders auf den pfleglichen Umgang mit Menschenschiffen. Beim Entfernen der Ruder müssen sie unter der Wasserlinie wohl das ein oder andere Loch gerissen haben.«
»Aber die Südländer werden ertrinken, Prinz!«
»Das ist ihr Problem. Sie hätten frühzeitig lernen sollen besser zu schwimmen. Temánah ist unser Feind, seit Yehwohs Tränen die Welt geheilt haben. Wir haben uns sogar mit den anderen Menschen verbündet, um sie im Kampf gegen den dunklen Herrscher zu unterstützen. Ihr dürft kein Mitleid für die Sklaven des Melech-Arez von mir erwarten. Sie haben ihre Strafe verdient.«
Yonathan wusste, dass Prinz Schachusch die Wahrheit sagte. Aber die Schreie der temánahischen Schiffsleute wurden immer lauter und er fühlte die eisige Kälte, mit der das Grauen sein Herz umfangen hielt. Ehe er etwas erwidern konnte, wurde das Schiff von einem neuen Zittern geschüttelt. Die drei Bolemiden sprangen von der Reling.
»Was ist jetzt wieder los?«, rief er ihnen nach. Er hatte das Gefühl, die Dinge entglitten nun völlig seiner Kontrolle.
»Galal ist getaucht«, antwortete Gimbar, der zu der Stelle gelaufen war, an der die drei Wesen eben noch mit ihren Saugnäpfen geklebt hatten, »und die Bolemiden auch.«
Jetzt, wo die Weltwind nicht mehr von dem Traumfeld getragen wurde, dümpelte sie in der leicht bewegten See. Ringsum bot sich ein Bild der Verwüstung. Die Bolemiden hatten ausnahmslos alle Schiffe der temánahischen Flotte unschädlich gemacht, einige waren bereits untergegangen, andere kenterten und wieder andere standen in Flammen. Das Wasser war angefüllt mit Männern, die in schweren Waffenröcken gegen das Ertrinken ankämpften. Sie schrien. Der Tod lag wie ein alles verschlingender Nebel über dem Schauplatz.
Dann konnte man plötzlich ein merkwürdiges Rauschen vernehmen, schwach wie das Brausen des Blutes in den Ohren. Kurz darauf schien sich die Meeresoberfläche unter den Schiffbrüchigen leicht abzusenken und begann dabei zu brodeln. Die Schreckensrufe wurden lauter. Und dann sahen Yonathan und die ganze Besatzung das Unfassbare: Ein graugrüner Kraterring hob sich aus dem Wasser, in seiner Mitte befanden sich zwanzig oder mehr der Ertrinkenden gefangen, der Rand zog sich über den Eingeschlossenen zusammen und die Erscheinung tauchte unter.
Das Ganze hatte nur wenige Augenblicke gedauert und kurze Zeit später war die See an der betreffenden Stelle leer, es gab nur noch das stetige Heben und Senken der Wellen.
»Es hat sie verschluckt!«, keuchte Kaldek. Yomi
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