Isau, Ralf - Neschan 03
Konturen des Schattens zeichneten sich unter dem blauen Glitzern der See immer deutlicher ab. Dann riss das Meer auf. Der riesige Körper des Traumfeldes schnellte mit Urgewalt aus dem Wasser. Spätestens jetzt musste die Besatzung der Bath-Narga die drohende Gefahr erkennen. Aber es war schon zu spät. Galals Körper stieg empor, schob sich wie ein gigantisches Wurfnetz über den Fünfmaster. Schäumende Gischt hing einen Herzschlag lang in der Luft, während die Bath-Narga verdeckt war, verborgen unter einer triefenden Wolke. Dann ging Galals Körper nieder.
Aus der Entfernung wirkte die Szene seltsam unwirklich. Kein Laut war zu hören, als das Traumfeld die Bath-Narga in einem einzigen Augenblick zerschmetterte. Erst um einiges später erreichte das dumpfe Krachen die Zuschauer am Vulkanhang.
»Du hast gewollt, dass ich keine Menschen mehr verschlucke. Von Fallenlassen hast du nichts gesagt.«
»Aber das ist doch Haarspalterei, Galal!«
»Ich habe keine Haare.«
»Du hast viele Menschen getötet.«
»Sie waren böse.«
Yonathan schluckte. Galal hatte ja Recht. Auf dem Weg hinunter zur Bucht hatte Sethur ausführlich von der Stimmung und der Kampfmoral an Bord der Bath-Narga berichtet. Die Temánaher hätten die Weltwind ohne Zögern versenkt.
»Es wäre trotzdem schön, wenn du beim nächsten Mal etwas schonender mit unseren Feinden umgehen könntest.«
»Noch schonender?«
»Vergiss, was ich gesagt habe.«
Yonathan öffnete die Augen und seufzte. Sethur hatte sich lautlos genähert und ihn mit Interesse beobachtet.
»Habt Ihr gerade mit dem Traumfeld gesprochen?«
Yonathan nickte. »Es hat ein einfaches Gemüt. Ich habe versucht ihm zu erklären, dass man nicht gleich jeden Feind verschlucken oder sich auf ihn werfen darf, aber Galal scheint da anderer Meinung zu sein.«
»Es ist ein uraltes Wesen. Vielleicht besitzt es einen natürlichen Sinn für das wirklich Gute und Böse.«
»Vielleicht.« Yonathan seufzte noch einmal. »Wenn es so ist, dann könnten wir Menschen noch einiges von den Traumfeldern lernen. Wie auch immer, Galals Eingreifen hat die Weltwind gerettet. Ich darf also nicht zu streng zu ihm sein.«
Sethur nickte.
Schweigend begaben sie sich wieder zu den anderen Gefährten, die sich auf dem Großdeck um Din-Mikkith und Baru-Sirikkith versammelt hatten.
Das Treffen der beiden Behmische war für die ganze Besatzung der Weltwind ein großes Ereignis. Gimbar und Yomi hatten ihren Freund bereits am Strand erwartet und waren mehr als überrascht gewesen über die neuen Begleiter des Stabträgers. Es dauerte eine geraume Zeit, bis Yonathan die Gefährten davon überzeugen konnte, dass Sethur wirklich zu ihnen übergegangen war. Das plötzliche Auftauchen eines zweiten Behmisch dagegen versetzte selbst den ansonsten beherrschten Gimbar in freudige Aufregung.
Die gleichen Gefühlsreaktionen, sowohl Begeisterung wie anfängliche Ablehnung, hatte es dann auch an Bord der Weltwind gegeben. Kaldek hätte den ehemaligen Heerobersten Bar-Hazzats am liebsten in Stücke gehackt. Er erinnerte sich noch sehr gut an die übernatürliche Stimme, mit der Sethur ihn vor dem Ewigen Wehr in Angst und Schrecken versetzt hatte. Die Weltwind hatte damals schwere Schäden hinnehmen müssen. Kaldek konnte kaum der Versuchung widerstehen, seinen Rachegelüsten nachzugeben. Aber schließlich kam Yomis Adoptivvater doch noch zur Vernunft. Yonathan hatte es verstanden Kaldek zu besänftigen, indem er ihm das Schicksal Kirzaths vor Augen hielt, den sein Hass das Leben gekostet hatte. Zu guter Letzt erkannte der Kapitän sogar die Vorteile, die sich durch den neuen Verbündeten für die gemeinsame Mission ergaben.
So konnte endlich gefeiert werden, dass das Behmisch-Volk vor dem Aussterben bewahrt war. Zu einem richtigen Fest fehlte natürlich die Zeit – Yonathan drängte zu einem baldigen Aufbruch –, aber schon die Begegnung der beiden grünen Wesen brachte nach all den Wochen der Ungewissheit und den jüngsten Schrecken erstmals wieder so etwas wie Zuversicht und Freude in die Herzen der Männer.
Als Baru-Sirikkith seinen Artgenossen sah, überliefen ihn mehrere Wellen unterschiedlichster Grüntöne. Din-Mikkith zeigte sich nur geringfügig gelassener – tatsächlich hatte Yonathan bei seinem alten Freund noch nie derart schnelle Farbwechsel beobachten können. Nach einem kurzen Zögern stürzten die beiden Behmische aufeinander zu, bildeten für eine geraume Weile ein unentwirrbares Knäuel und stießen
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