Isau, Ralf - Neschan 03
zurückgelegt. Unter Segeln hätte der große Dreimaster Kaldeks die Reise selbst in der doppelten Zeit nicht bewältigen können, denn von dem Tage an, als Yonathan das fünfte Auge Bar-Hazzats zerstört hatte, herrschte absolute Flaute. Es war, als hätte der dunkle Herrscher den Wind eingeschläfert, um seinen Herausforderer so lange wie möglich aufzuhalten.
Mit jedem Tag wurde die Luft drückender und an Bord der Weltwind kehrte wieder das altbekannte Gefühl des Unbehagens ein. Yonathan spielte nur noch selten seine Flöte. Dafür versuchte Gimbar die Stimmung der Mannschaft aufzubessern, aber selbst ihm fehlte – angesichts der bevorstehenden Aufgabe – die frühere Unbekümmertheit.
Während die Weltwind nach Südosten getragen wurde, verbrachte Yonathan viele Stunden allein. Er dachte an Bithya und an das, was hinter, vor allem aber, was vor ihm lag. Benels Worte kamen ihm immer wieder in den Sinn. »Wenn du dem dunklen Herrscher gegenüberstehst, benutze die Waffen des Lichts. Er wird versuchen, dich auf seine Seite zu ziehen, auf die Seite der Finsternis und des Hasses. Aber wenn du dich daran erinnerst, weshalb Yehwoh dich für diese schwere Aufgabe auswählte, dann wird es dir gelingen ihm zu widerstehen.«
Yonathan konnte sich nicht vorstellen, jemals in die Versuchung zu geraten sich Bar-Hazzat zu unterwerfen. Aber er wusste auch, dass die Warnung des Boten Yehwohs ernst zu nehmen war. Was würde der dunkle Herrscher unternehmen, um die Oberhand zu gewinnen? List anwenden oder sogar rohe Gewalt? Um die Weltentaufe für Melech-Arez zu entscheiden, musste Bar-Hazzat Yonathan zerbrechen. Dazu war ihm bestimmt jedes Mittel recht.
Yehwoh hatte einst ihn, Jonathan, einen gelähmten Knaben, wegen seiner Gabe der vollkommenen Liebe erwählt. Nun fragte er sich immer öfter, wie er gerade mit dieser »Waffe« Bar-Hazzat, die Verkörperung des Hasses, besiegen konnte.
Yonathan war klug genug sich nicht ganz seinen Grübeleien hinzugeben. Er erinnerte sich der Worte des Sepher, die Goel ihn gelehrt hatte: »Pläne scheitern, wo es kein vertrauliches Gespräch gibt, aber bei der Menge der Ratgeber kommt etwas zustande.« Neben Yomi, Gimbar und Kaldek hatte nun auch Sethur einen festen Platz im Kreis seiner Gefährten eingenommen.
Der ehemalige Heeroberste Bar-Hazzats lieferte wertvolle Informationen über das Land des Südens und dessen Hauptstadt, Gedor. Er war ein sehr ernster Mann. Sethur gestand ein, dass er lange schon mit seinem Gewissen gerungen hatte: Seit jener Nacht, als er den jungen Stabträger im Verborgenen Land zum ersten Mal gefangen nahm, hatten ihn immer wieder Zweifel beschlichen, ob es richtig war, was Bar-Hazzat von ihm verlangte. Aber ein falsch verstandenes Pflichtgefühl hatte ihn gezwungen Dinge zu tun, zu denen er dann letztlich nicht mehr stehen konnte.
Yonathan hatte durch das Koach wohl schon früh dieses langsame Umdenken gespürt, diese Zuneigung erkannt, die Sethur ihm in seinem tiefsten Innern entgegenbrachte, aber auch er hatte sich täuschen lassen. Sethur war die rechte Hand seines mächtigsten Gegners – wie konnte er gleichzeitig ein Freund sein?
Das Böse zu hassen heißt nicht, den Bösen zu verdammen. Das hatte Yonathan gelernt, als er damals während der Reise nach Gan Mischpad der Frage nachhing, wie sich seine oftmals heftigen Gefühle, Zorn und Hass, mit der vollkommenen Liebe vereinbaren ließen. Dadurch – und wohl auch mit der Hilfe Benels – hatte er Sethurs wahres Wesen entdeckt.
Als die Küste Temánahs nun in greifbare Nähe rückte, begann Phase eins des letzten, großen Plans. Gemeinsam hatte man jeden einzelnen Punkt der Aktion besprochen.
»Wir warten, bis die Dunkelheit hereinbricht«, wiederholte Sethur, was mindestens ein Dutzend Mal erörtert worden war.
»Ja, und dann verschluckt uns unser großer glibberiger Freund«, fügte Gimbar hinzu. Er hatte seine Worte mit Bedacht gewählt, aber es war ihm trotzdem anzumerken, wie wenig ihm dieser Teil des Schlachtplans behagte.
Yonathan zeigte sich ungerührt. »Erstens wird uns Galal nicht verschlucken, sondern nur in einem durch seinen Körper gebildeten Hohlraum transportieren, und zweitens steht es dir offen hier an Bord zu bleiben.«
»Dich allein lassen? Ausgeschlossen.«
»Er kann ein unheimlicher Dickkopf sein«, stellte Yomi fest.
Yonathan nickte nur. »Gut, dann wäre ja alles besprochen.«
Für ein Wesen, in dessen Leben Zeit nur eine sehr unwesentliche Rolle spielte, beeilte sich
Weitere Kostenlose Bücher