Isau, Ralf - Neschan 03
nicht seine Mahnung Wort für Wort wiederholt, so hätte ich vielleicht nie bemerkt, welchem großen Irrtum ich unterlag. Könnt Ihr mir verzeihen, Sethur?«
Nun war Sethur völlig verblüfft. Der Richter hatte zu ihm wie zu seinesgleichen gesprochen, ihn akzeptiert. »Verzeihen? Ich Euch? Ich bin auf Eure Gnade angewiesen. Schließlich habe ich lange genug versucht Euch zu vernichten.«
»Lasst uns nicht mehr darüber reden«, sagte Yonathan und ging auf Sethur zu. »Ich neige manchmal dazu, über die Beweggründe anderer zu wenig nachzudenken. Das war schon bei Lemor, dem Hirten, so.«
»Bei wem?«
»Ach, das ist lange her – eine Lektion, deren wahren Wert ich eben erst erkannt habe.« Yonathan stand jetzt vor Sethur und streckte ihm die Hand entgegen. »Der Stab zeigt mir, dass Ihr es ehrlich meint. Irgendwie habe ich immer gespürt, dass eigentlich die Aufrichtigkeit Euer Handeln bestimmt, aber leider war sie lange Zeit verschüttet unter dem üblen Einfluss Bar-Hazzats.«
»Dies ist nun alles vorbei. Der Schwarze Turm war eine heilsame Erfahrung für mich. Bar-Hazzat hat mich zwar als Jäger vom Turm ausgesandt, damit ich Euch endgültig niederstrecke, Geschan, aber nun bin ich hier, um Euch zu helfen. Und Ihr werdet der Bezwinger des Turms werden.«
XX.
Weltentaufe
Baru-Sirikkith kannte die Lebenden Dinge wie kaum anderes Wesen auf Neschan. Deshalb fiel es ihm nicht schwer festzustellen, dass in dem Verhältnis zwischen seinem jungen Gefährten und dem anderen Menschen eine große Veränderung vor sich gegangen war – waren sie früher erbitterte Gegner, herrschte nun Eintracht zwischen ihnen.
Der Behmisch konnte sich diese Entwicklung zwar nicht erklären, aber sie gefiel ihm. Das grüne Volk hatte jahrtausendelang die Harmonie gesucht, hatte Gan Eden gehegt und den Frieden zwischen den Geschöpfen darin gefördert. Umso mehr widerstrebte ihm das, was er mit ansehen musste, als er in Begleitung der beiden Menschen aus dem Spalt herausgeklettert war. Am Fuße des Vulkans schien sich ein Drama anzubahnen.
»Dieser Narr!«, entfuhr es Sethur und Yonathan zuckte unwillkürlich zusammen, weil er in der Stimme die alte Bedrohlichkeit spürte.
»Ist das Euer Schiff?«, fragte er, während er gebannt den großen schwarzen Fünfmaster verfolgte, der gerade in die Bucht einbog, in der die Weltwind vor Anker lag.
Sethur nickte. »Es ist die Bath-Narga, noch schneller und gefährlicher als die Narga, nach der sie benannt wurde. Wir haben neuartige Feuerspeere an Bord. Ich fürchte, Kirzath wird sie gegen Euer Schiff einsetzen.«
»Jener Kirzath, der uns auf der Narga unter Deck sperren ließ?«
»Ich wünschte, es wäre ein anderer. Der Kapitän glaubt eine persönliche Fehde mit dem siebten Richter austragen zu müssen. Er hat Euch nicht verziehen, dass sein Schiff damals vom Weißen Fluch in Schaum verwandelt wurde.«
Yonathan zuckte mit den Schultern. »Zorn und Hass sind langlebige Brüder.« Dann deutete er mit dem Kopf zur Bucht hinab. »Aber diese Rachsucht wird Kirzath nicht stillen können, sondern sie wird sein Verderben sein. Schaut selbst.«
Sethur folgte dem Blick Yonathans. Die Bath-Narga steuerte direkten Kurs auf die Weltwind. Aus der Entfernung war nicht zu erkennen, was an Bord der beiden Schiffe vor sich ging, aber er wusste es ohnehin: Kirzath würde die letzten Befehle zum Abschuss der Feuerspeere erteilen und an Bord der Weltwind musste jetzt ein heilloses Durcheinander herrschen. Dann entdeckte Sethur den Schatten.
»Was ist das?«, hauchte er. Er sah einen unförmigen dunklen Fleck, groß wie ein Kornfeld, der sich unter Wasser mit enormer Geschwindigkeit der Bath-Narga näherte.
Yonathan seufzte. Er wirkte nicht beunruhigt, nur sehr ernst. »Das ist Galal, ein Traumfeld. Es gehört zum Kreis meiner Gefährten. Eigentlich ist es ein friedliches Geschöpf.«
»Wirklich?«
»Nur gelegentlich verschluckt es Schiffe. Ich habe versucht ihm das auszureden, aber ich fürchte ohne großen Erfolg.«
Sethur blickte Yonathan zweifelnd an. Er verstand nicht ganz, was der junge Richter meinte. Schließlich konzentrierte er sich wieder auf die Ereignisse in der Bucht.
Der dunkle Schatten unter der Wasseroberfläche war jetzt gefährlich nahe an die Bath-Narga herangerückt. An Bord des schwarzen Seglers schien ihn niemand bemerkt zu haben. Yonathan erwartete, dass Galal unter den Fünfmaster tauchen würde, um ihn dann in die Tiefe zu reißen. Aber es kam anders.
Die
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