Isau, Ralf - Neschan 03
Gefährten auf ihr Zimmer begeben wollten, kehrte plötzlich Ruhe im Schankraum ein. Alle Blicke waren auf die Wirtshaustür gerichtet. Am Eingang zum Schankraum ragten zwei Squak-Soldaten auf. Im Vergleich zu den Vogelwesen, die sie bei ihrer Ankunft in Singat auf den Stegen und Brücken der Wohntürme gesehen hatten, waren die uniformierten Squaks geradezu dezent gekleidet: Körper, Oberarme und Beine bis hinab zu den Knien hatten sie in knallrotes Tuch gehüllt, das an verschiedenen, scheinbar zufällig gewählten Stellen mit gelben Riemen und Kordeln abgesetzt war. Zwischen diesen beiden roten Farbtupfen fiel zunächst die kleinere menschliche Gestalt in ihrer Schlichtheit kaum auf: ein temánahischer Priester, unverwechselbar durch seine schwarze Kutte und den bleichen, haarlosen Kopf.
»Das hat uns gerade noch gefehlt!«, flüsterte Gimbar und griff in die Falten seines Ärmels.
»Lass deine Dolche stecken!«, raunte Yonathan ihm zu.
»Keine Angst, ich weiß, dass du in diesen Dingen sehr empfindsam bist. Es ist nur für den Notfall. Schließlich sind dir die Hände gebunden. Der Schwarze würde es sofort spüren, wenn du den Stab gegen ihn oder seine Bewacher einsetzen willst.«
»Bleibt einfach ruhig sitzen«, flüsterte Yehsir, fast unhörbar. »Vielleicht wollen sie sich nur nach etwas erkundigen und gehen dann wieder.«
In der Zwischenzeit war der Wirt auf den Priester und seine Begleiter zugegangen und erkundigte sich nach dem Zweck ihres Besuches.
»Kein Grund zur Beunruhigung«, versicherte der Schwarzgekleidete mit zerbrechlicher Stimme. »Wir suchen nur nach einem…«, er zögerte, »… Freund. Er ist unterwegs zu einem…«, er zögerte abermals, »… Treffen, nur weiß er nicht so recht, wo und wann diese Begegnung stattfinden soll. Wir möchten ihm helfen, seine Suche… abzukürzen.«
»Das ist Euer Problem«, erwiderte Kehmar unfreundlich. »Hier kommen so viele Fremde durch. Ich kann mir nicht jede Visage merken, die sich in meiner Schankstube einen Krug Bier bestellt.«
Der temánahische Geistliche lächelte, dass einem das Blut in den Adern gefror, und sagte freundlich: »Es handelt sich um einen jungen Mann: zwischen achtzehn und zwanzig Jahre alt, dunkelhaarig, auch die Augen sind dunkel, vermutlich schlank und gut sechs Fuß groß. Er reitet auf einem weißen Lemak, gewiss ein auffälliges Tier, findet Ihr nicht?«
Kehmar zögerte. Ohne Frage wusste er, wen der schwarze Priester suchte. Aber dann antwortete er barsch: »Ihr könnt Euch in meinem Stall umsehen. Ich bezweifle, dass einer meiner Gäste ein solches Reittier besitzt.«
»Das haben wir bereits getan, Kehmar. In Eurem ganzen Anwesen befindet sich kein einziges Lemak.«
»Dann könnt Ihr ja wieder gehen. Ihr vergrault mir die Gäste.«
Wieder verzog der bleichhäutige Temánaher das Gesicht zu einem eisigen Lächeln. Es schien, als müsse er nachdenken. Yonathan hoffte schon, er würde mit seinen beiden Wachvögeln wieder abziehen, aber dann sagte der Priester fast beiläufig: »Ich werde mich kurz in Eurem Schankraum umsehen. Es interessiert mich, was das für Menschen sind, die sich von einem Mann des Friedens die gute Laune verderben lassen.«
Ehe der Wirt noch etwas einwenden konnte, sah er sich schon den beiden Squak-Soldaten gegenüber: jeder von ihnen mehr als sieben Fuß groß und mit einer langen lanzenartigen Waffe ausgestattet, deren Ende eine sichelförmige Klinge zierte.
Der schwarze Priester ging langsam die Tischreihen ab. Seine Schritte waren kaum wahrzunehmen, beinahe, als schwebte er über den mit Binsen bestreuten Boden. Einmal schenkte er hier einem Gast seine eisig lähmende Aufmerksamkeit, ein andermal ließ er dort seine weißen Fingerspitzen spielerisch über eine Tischplatte gleiten. Und immer näher kam er dem letzten Tisch.
Gimbars Hand fuhr tiefer in den Ärmel. »Ich glaube, jetzt bleibt uns keine andere Wahl mehr.«
Yonathan drückte den Arm seines Freundes nieder. Mit der anderen Hand umklammerte er Haschevet, den er wie immer bei sich hatte. »Nicht!«, zischte er.
Er suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Schweißperlen traten auf seine Stirn und glitzerten im Lampenlicht. Was konnte er tun, um sich und seine Freunde vor der Entdeckung zu schützen? Das Koach war mächtig, aber Goel hatte ihm auch gesagt, die schwarzen Männer könnten ständig und zu jeder Zeit mit ihrem Herrn und Gebieter in Verbindung treten – ihn warnen.
Yonathan durchforschte seine Gedanken weiter nach
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